Die Alsterkrugchaussee ist Teil des Hauptverkehrsstraßennetzes von Hamburg. Frühmorgens strömen über die vierspurige Bundesstraße die Bewohner von Norderstedt und Quickborn zu Tausenden mit dem Auto in die Hansestadt, dazu gesellen sich die Taxen und Leihwagen vom und zum Flughafen in Fuhlsbüttel. Nach der
letzten Verkehrszählung rauschen hier täglich bis zu 38.000 Autos über den Asphalt. Entsprechend hoch frequentiert sind an der Shell-Tankstelle kurz hinter der Abzweigung zum Flughafen die Zapfsäulen für Benzin
und Diesel. Das gilt auch für die beiden High Power Charger, die dort inzwischen stehen. An einem davon parkt an diesem Morgen ein bunt beklebter Kia EV6: Shell-Tankstellenchef Florian Glattes,46, lädt auf dem Weg zur Arbeit noch schnell den Akku des Stromers voll. Da bleibt noch Zeit für einen Ladetalk.
Herr Glattes, kommt ein Shell-Manager an eine Ladestation…So hätte früher wahrscheinlich ein Witz angefangen. Denn von Führungskräften eines Mineralölkonzerns erwartete man eigentlich ein klares Bekenntnis zu benzin- und dieselgetriebenen Fahrzeugen. Wann haben Sie da den Schalter umgelegt?
Na ja, ich habe viel Sympathie für das Geschäft mit Benzin und Diesel, aber auch für die Elektromobilität. Wir haben uns vor sieben, acht Jahren mal die Zahlen angeschaut. Und damals zeichnete sich schon ab, dass die Flotte der Elektroautos stark wachsen würde. Daraufhin haben wir entschieden, in größerem Umfang in die Elektromobilität zu investieren. Und ich durfte in den zurückliegenden Jahren meinen Teil dazu beitragen, das aktiv zu gestalten.

Der 46-jährige Rheinländer und dreifache Familienvater ist seit bald 20 Jahren für den Energiekonzern Shell tätig. Seit Oktober 2024 leitet er als General Manager Mobility das Tankstellengeschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Als Global Vice President E-Mobility Solutions hatte der Betriebswirt zuvor die Aufgabe, Shell Recharge zu einem führenden E-Mobilitäts-Dienstleister zu machen.
Sie sind bereits seit 20 Jahren in den unterschiedlichsten Funktionen für Shell tätig – eine besondere Affinität für alternative Energieträger war da aber bis vor kurzem nicht zu erkennen.
Meine Aufgaben haben sich immer um den Kunden gedreht, im Vertrieb, im Schmierstoff- und Luftfahrtgeschäft. Dabei hat mich die Dekarbonisierung unseres Geschäfts durchaus schon stark beschäftigt – in den 2010er Jahren zunächst bei zahlreichen Kundengesprächen aber auch in strategischen Rollen für die Weiterentwicklung unseres weltweiten Tankstellengeschäfts.
Da spricht der Unternehmensstratege.
Ja, aber nicht nur. Als Vater von drei Kindern möchte ich schon die Energie-Zukunft gestalten. Auch deshalb habe ich mich im Unternehmen schon früh für eine E-Mobilitäts-Strategie stark gemacht.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Kontakt mit einem Elektroauto?
Das war so 2015, 2016. Ich war damals noch im Schmierstoff-Geschäft. Damals haben wir uns vor einem Treffen mit dem Führungskreis einen vollelektrischen BMW i3 und einen BMW i8 mit Hybridantrieb besorgt. Um zu sehen, wie Zukunft funktioniert. Die beiden Autos sind dann alle mal gefahren.
„Als Vater von drei Kindern möchte ich schon die Energie-Zukunft gestalten.“
Um zu dem Schluss zu kommen: Das wird nix mit der Elektromobilität?
Nein, das haben wir nicht gesagt. In der Energiewirtschaft denkt man nicht in Jahren, sondern in Dekaden. Dazu müssen wir wissen, was der Energieträger der Zukunft ist.
Und zu welchem Ergebnis sind Sie und Ihre Kollegen damals gekommen?
Wir waren damals und sind bis heute davon überzeugt, dass Elektroautos eine starke Rolle spielen werden.
Wie man hier sieht: Sie sind mit einem Kia EV6 GT gekommen. Ist das Ihr Dienstwagen?
Nein, das ist eines unserer vollelektrischen Poolfahrzeuge, die Mitarbeiter geschäftlich nutzen können.
Womit sind Sie sonst unterwegs?
Als Familie fahren wir mit viel Begeisterung einen Volvo XC40 Recharge.

Der Kia EV6 GT, mit dem Florian Glattes zur Ladestation kommt, ist ein Elektroauto aus dem Shell-Pool. Privat fährt einen Volvo EX40. Fotos: Jewgeni Roppel für EDISON
Der heute bei Volvo als EX40 geführt wird.
Ja. Und dann gibt es bei uns noch den großen Bruder als Verbrenner.
Woher rührt die Affinität zu der schwedischen Marke?
Wir sind lange Autos deutscher Marken gefahren. Vor drei Jahren haben wir dann unser erstes Elektroauto ausgesucht. Und meine Frau wollte ein Fahrzeug haben, das wie ein ganz normales Auto aussieht. Da sind wir dann bei Volvo gelandet.
Wie schwer war die Umgewöhnung auf den Elektroantrieb?
Es hat von Anfang an geklappt. Für bestimmte Strecken, etwa von Hamburg an die Nordsee und für Fahrten im Umland, nehmen wir das Elektroauto, weil es einfach praktischer und bequemer ist. Für lange Fahrten, etwa in den Skiurlaub in die Alpen und wenn wir mehr Platz benötigen, nutzen wir den Verbrenner. Wir sind da nicht dogmatisch.
„In der Energiewirtschaft denkt man nicht in Jahren, sondern in Dekaden.“
Haben Sie mit dem Stromer schon mal Reichweitenangst erlebt?
In manchen Situationen schon. Fahrten mit einem Elektroauto müssen immer noch gut geplant werden. Aber dann gibt es keine Probleme. Bei Fahrten an die Nordsee lade ich inzwischen immer an unserer Station in Husum. Das hat immer reibungslos funktioniert. Da gibt es frischen Kaffee und gute Franzbrötchen.
Wie viele Ladekarten oder -Apps haben Sie bei Ihren Touren dabei?
Eine. Ich nutze wirklich nur die Shell Recharge-App auf meinem Smartphone. An der hängen inzwischen über Roaming-Verträge mehr als 800.000 Ladepunkte. Und wo immer es möglich ist, versuche ich auch bei Shell zu laden.

Mit der Ladekarte oder -App von Shell Recharge lassen sich derzeit 800.000 Ladepunkte in Europa aktivieren – an Shell-Stationen zu Preisen zwischen 59 und 64 Cent pro Kilowattstunde. Hinzu kommt eine Transaktionsgebühr von 35 Cent pro Ladevorgang.
Sie haben wirklich nie eine andere Ladekarte oder App genutzt?
Nein. Wir haben recht früh, 2017, New Motion übernommen. Die hatten damals schon eine ausgezeichnete App und ein ausgezeichnetes Roaming-Netzwerk. Vor zwei, drei Jahren musste ich noch häufiger auf das Netz der Roaming-Partner zugreifen. Inzwischen komme ich auch allein mit den Shell-Stationen gut durchs Land.
Sie fahren nicht auch schon mal Stationen anderer Betreiber an?
Selten bis nie. Ich bin stolz auf unser Shell Recharge-Ladeangebot.
An Ihrer Stelle würde mich aber schon interessieren, was die Konkurrenz macht.
Wir gucken uns natürlich auch an, was der Wettbewerb macht. Das ist ein neuer Markt, auf dem noch viel ausprobiert wird. Auch in anderen Ländern. Zum Beispiel in China, wo die Elektromobilität eine ganz andere Größenordnung hat als in Europa.
Im zweiten Teil des Interviews geht es unter anderem um das geplante Verbrennerverbot in der EU und die Folgen.