Die Elektromobilität ist das dominierende Thema der Verkehrsdebatte – auch auf der IAA Mobility in München, die am Sonntag zu Ende ging. Aber während E‑Autos hierzulande nur langsam und nur mit massiver finanzieller Förderung in Schwung kommen, rollen E‑Bikes schon seit einigen Jahren erfolgreich durch Deutschland – mit elektrischer Trittunterstützung, aber ohne finanzielle Beihilfen durch die Steuerzahler. 1,95 Millionen „Pedelecs“ wurden im vergangenen Jahr in Deutschland abgesetzt, im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden trotz Lieferproblemen unter anderem wegen Corona, aber auch wegen der Halbleiter-Problematik, bereits wieder 1,2 Millionen E-Bikes verkauft – zum durchschnittlichen Stückpreis von knapp 5000 Euro bei Lastenrädern, 3859 Euro bei E-Mountainbikes und 2837 Euro bei E-Bikes für die Stadt. Und wie aus dem Fahrradhandel zu hören ist, waren die höherwertigeren – und teureren Pedelecs deutlich stärker gefragt als die Fahrräder im unteren Preissegment.
Der Erfolg der E-Bikes kam aber auch hier nicht von heute auf morgen, sondern war ein Prozess,der sich über viele Jahre hinzog. Und viele Fragen, die heute immer noch bei der Diskussion um das Elektroauto eine Rolle spielen, hat das E‑Bike bereits überzeugend beantwortet. Welche Faktoren haben den Erfolg der E-Bikes begünstigt, was kann die Auto- möglicherweise von der Fahrradindustrie lernen?
Wir geben einen Überblick über die Entwicklung des E‑Bikes und zeigen, welche wichtigen Faktoren den Erfolg begünstigt haben.
1) Pionierarbeit
Der E‑Bike-Trend begann nicht bei den Marktführern, sondern in der Nische. Als Pionier in Europa gilt der schweizerische E‑Bike-Hersteller Flyer. Das Unternehmen begann bereits in den 1990er-Jahren mit der Produktion von Elektrorädern. Der Erfolg stellte sich allerdings erst viel später ein und war mit viel harter Arbeit verbunden. Bis dahin hatte das Unternehmen auch mit Rückschlägen zu kämpfen.
Firmen wie Riese & Müller oder Haibike setzten ebenfalls sehr früh stark auf die E‑Bike-Karte, während andere Hersteller noch warteten, wie sich die Nachfrage entwickelte. Der Mut der Pioniere wurde belohnt: Heute gehören alle drei Marken zu den führenden Herstellern im High-End-Bereich und warten immer wieder mit Innovationen auf.
Hinzu kamen auch Anregungen von außerhalb der Fahrradbranche: Firmen wie Brose, Bosch, Mahle, Valeo, Yamaha und Panasonic erkannten den Trend und brachten Antriebssysteme auf den Markt, welche die Fahrradbranche selbst nicht hervorbringen konnte – Shimano zog erst später nach. Die Autozulieferer Bosch und Brose nutzten dabei Elektroantriebe aus dem Kfz-Bereich – Ausgangspunkt für das Antriebssystem von Bosch war zum Beispiel der Elektromotor für die Servolenkung von Autos. So haben E‑Bikes neue Partner auf den Fahrradmarkt gebracht, die heute marktführend sind.
Fazit: Die Mischung aus Eigeninitiative, Mut und Input von außen ist für den erfolgreichen Werdegang unerlässlich.
2) Imagewandel zum Prestigeobjekt
„E‑Bikes sind doch nur etwas für alte Leute“ – unter diesem Vorurteil hatten E‑Bikes lange zu leiden. Doch mittlerweile ist das Image des „Seniorenrads“ abgelegt. Die Zielgruppe wird immer jünger, auch junge Erwachsene, Kinder und Jugendliche steigen inzwischen gerne auf E‑Bikes.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor war dabei die Entwicklung sportlicher Modelle, die auf eine dynamischere Zielgruppe abgestimmt sind. Mountainbikes mit elektrischer Trittunterstützung waren von Anfang an ein wichtiges Thema. Auch sogenannte SUV-Bikes, also Stadt- und Trekkingräder mit Mountainbike-Reifen und Federung sowie Alltagsausstattung mit Licht, Gepäckträger und Schutzblechen, erfreuten sich gerade bei sportiven Pendlern schnell wachsender Beliebtheit.
Aus dem einstigen Reha-Mobil ist mittlerweile ein Prestige- und Designobjekt geworden, für das eine zahlungskräftige Klientel Beträge von über 10.000 Euro zu zahlen bereit ist. Ein Fahrradhändler meinte einmal scherzhaft: „Man schaut am Gartenzaun nicht mehr, was der Nachbar für ein neues Auto hat, sondern welches E‑Bike er fährt.“
Mit immer neuen und technisch ausgefeilteren Modellen liefert die Branche neue Kaufanreize. Hinzu kommt noch eine erhebliche Gruppendynamik: Kauft jemand aus dem Freundeskreis ein E‑Bike, ziehen die anderen bald nach. Ad acta gelegt ist so das Image des Armutsvehikels, das dem klassischen Fahrrad lange anhaftete. Das Gegenteil ist heute der Fall.
Fazit: Der Markt honoriert emotionale Produkte. Eine Argumentation, die allein Vernunftgründe – wie etwa den Komfort oder Klimaschutz – anführt, verfängt nur bei einem Teil der Käufer.
3) Megatrend Ökologie
Der Imagewandel ist auch ein Teil der gesellschaftlichen Debatte: E‑Bikes sind inzwischen als klimafreundliche Verkehrslösung akzeptiert. Anstelle des Autos nutzen viele Stadtbewohner inzwischen für die Fahrt zur Arbeit oder zum Transport von Einkäufen und Kleinkindern ein E‑Bike. Wer Rad fährt, gilt als dynamisch und progressiv, nicht zuletzt wegen der guten Umweltbilanz. Und durch die seit 2012 geltende gesetzliche Möglichkeit, die Räder als Dienstfahrrad über die Firma zu leasen und so bei der Anschaffung Geld zu sparen, ist die Nachfrage zusätzlich gestiegen. Leasing rentiert sich gerade bei hochwertigen Modellen, weshalb E‑Bikes prädestiniert dafür sind. Dazu wird seit einigen Jahren bereits an einem Kreislaufsystem für E‑Bike-Akkus gearbeitet, um Ressourcen einzusparen und den CO2-Fußabdruck zu verkleinern.
Fazit: Das Produkt sollte nie isoliert betrachtet werden, sondern als Teil eines Ökosystems verstanden – und vermarktet werden.
4) Wirtschaftsfaktor
Ob als treibende Kraft für Tourismusregionen oder als lukrative Arbeitgeber – die Fahrradbranche etabliert sich auch dank des E‑Bikes als ein stark wachsender Wirtschaftssektor. Rund 17 Milliarden Umsatz wurden 2020 im Fahrradhandel und Fahrradtourismus erwirtschaftet – Tendenz steigend. Das weckt Begehrlichkeiten auch aus anderen Industrien oder bei Investoren. Dieses Geld kann wiederum für neue Entwicklungen, Verbesserungen der Liefersituation und neue Arbeitsplätze genutzt werden.
Fazit: Kommt das Geschäft erst einmal in Schwung, springen andere auf – der Markt sorgt für Begehrlichkeiten und entwickelt eine Eigendynamik.
5) Angebotsvielfalt
Ein wichtiger Punkt für den Erfolg: Es gibt ein großes, vielfältiges Angebot. Und das ist im Handel und in der Werbung deutlich sichtlich. Gab es vor ein paar Jahren nur vereinzelte Fahrräder mit elektrischer Trittunterstützung in den Läden zu sehen, füllen E-Bikes mittlerweile bei vielen Händlern wenigstens die Hälfte der Ausstellungsfläche. Es gibt sogar reine E‑Bike-Shops.
Die breite Präsenz belebt die Nachfrage. Zudem werden nicht nur teure Modelle präsentiert, sondern auch Räder für den Massenmarkt produziert. Die technischen Entwicklungen sind soweit ausgereift, dass auch günstigere Modelle im Einsteigerbereich um die 2.000 Euro sich gut verkaufen lassen. Auch ein Markt zum Verkauf von gebrauchten E‑Bikes etabliert sich aktuell langsam. Hinzu kommt ein abgestimmtes Angebot im Zubehörmarkt. Rucksäcke und Taschen mit einem integrierten Fach für einen Ersatz-Akku oder ein Ladegerät, Neopren-Schutzhüllen als Kälteschutz im Winter oder spezielle E‑Bike-Helme: Für viele Anwendungen gibt es auch das passende E‑Bike-spezifische Zubehör.
Fazit: Ein breites, abwechslungsreiches Angebot belebt die Nachfrage – wenn es aus der Nische herausgeholt und offensiv präsentiert wird.
Im zweiten Teil lesen Sie, woran es beim Elektroauto noch hapert – und beim E-Bike nicht mehr.