Kaum ein anderer Hersteller setzt derzeit alles derart auf die Karte Plug-In-Hybrid wie BMW: Ob Zweier, Dreier, Fünfer oder Siebener, X1 oder X5 – fast jede Modellreihe bieten die Bayern derzeit auch als Teilzeitstromer an. Das soll ab 2022 anders werden. Denn dann wollen die Bayern mit dem Doppelpack aus BMW iX und i4 insbesondere dem kalifornischen Elektroauto-Pionier Tesla zeigen, wo die Harke hängt – und was ein wirklich gutes Elektroauto eines (süd-)deutschen Premiumherstellers ist.
Die Bayern, einst Synonym für dynamische Fahrzeuge mit sechs Zylindern, Hinterradantrieb und jeder Menge Fahrspaß, wollen auch bei den Elektroautos von morgen Bestmarken setzen. Mit dem innovativen, aber aufgrund des hohen Preises wenig massentauglichen BMW i3 setzte man vor knapp zehn Jahren bereits ein erstes Ausrufezeichen – das aber bis heute weit hinter den ursprünglichen Verkaufszielen zurück blieb. Mit dem iX als elektrischem Bruder des X5 und insbesondere dem i4 wollen sich die Münchner aber nun an die Spitze der jeweiligen Segmente setzen – teschnisch, aber auch mit entsprechenden Verkaufszahlen.
Elektro-Zwilling des 4er Gran Coupé
Während der BMW iX als elektrischer Crossover zum Ende des Jahres die SUV-Kunden begeistern soll, geht der BMW i4 noch einen Schritt weiter. Er ist kein Einzelstück, kein One-Of wie der iX oder ein umgebautes Modell wie der iX3, sondern technisch eng mit dem BMW 4er Gran Coupé verwandt. Er wird auch zusammen mit dem Gran Coupé im Münchner Stammwerk gefertigt und dort statt mit einem 135 kW (184 PS) starken Benziner mit einem deutlich stärkeren Elektroantrieb versehen. Gleich dazu mehr.
Noch nie bislang wurden Verbrenner und Elektromodell parallel entwickelt und später parallel auf einer Linie gefertigt. Der Kopf des aufwändigen Projekts ist David Ferrufino. Der gebürtige Bolivianer ist ein Car Guy, wie er im Buche steht. „Wir müssen spitze Autos erschaffen; Autos, die begeistern und einfach Spaß machen, wie nur ein BMW es kann“, erklärt Ferrufino, „eine direkte Lenkung mit keinem Spiel an der Nulllage gehört für mich einfach dazu.“
Zusammen mit seinen Fahrwerksspezialisten ist der Projektleiter an diese düsteren Samstagmorgen im Winter auf dem Testgelände in Aschheim nahe München unterwegs. Zwei stark getarnte Prototypen sollen auf dem Hochgeschwindigkeitsoval und auf dem Handlingkurs einmal mehr genau unter die Lupe genommen werden. Zeitgleich sind gerade andere i4-Erlkönige in den USA, Lappland und Südfrankreich unterwegs und schrubben wertvolle Testkilometer. Die Corona-Pandemie hat auch die Erprobungen schwerer als gewöhnlich gemacht.
BMW kontert mit dem i4 Teslas Model 3
Der i4, als technischer Zwilling des 4er Gran Coupé und somit auch mit dem 3er verschwägert, soll das neue Kernmodell im Hause BMW werden. Er feiert seinen Marktstart ein Quartal nach der Premiere des iX im Frühjahr 2022. Zunächst, so erfahren wir, wird es drei Antriebsversionen – wahlweise mit Hinterrad- und Allradantrieb – sowie zwei Akkupakete geben. Wird die Basisversion mit 200 kW (272 PS) allein über die Hinterachse angetrieben, dürfte der Allradler – zunächst noch ohne M-Signet am Heck – rund 350 kW (476 PS) leisten.
Das Leistungsspektrum zeigt dabei verblüffende Ähnlichkeit zum Tesla Model 3. Und David Ferrufino macht keinen Hehl daraus, dass das amerikanische Elektromodell im Fokus aller Entwicklungen stand: Das Model 3 hat die Elektrowelt für viele Kunden in den USA, Europa und Asien ebenso erlebbar wie begehrenswert gemacht. Kein Wunder, dass sich die internationale Konkurrenz an dem amerikanischen Vorzeigemodell orientiert.
So sind die Abmessungen von Tesla Model 3 und BMW i4 nahezu identisch, die Proportionen der beiden Mittelklassefahrzeuge zumindest ähnlich. Aber ebenso so wenig wie das Model 3 von Tesla ist der BMW i4 ein echter Fünfsitzer. Denn so geräumig der Bayer auch ist: Im Fond des i4 möchte man nicht zu Dritt sitzen.
Vor allem fahrdynamisch soll der BMW i4 dem Tesla die Rücklichter zeigen. Das Entwicklungsteam unter David Ferrufino legt Wert darauf, dass der i4 nicht nur schnell geradeaus fahren kann, sondern ein Handling bietet, das einem den Atem rauben soll. Vom Beifahrersitz aus kann man das nur bestätigen: Der Schub aus dem Stand heraus ist gewaltig. Doch auch im Grenzbereich zeigt das gut zwei Tonnen schwere Mittelklassemodell, was es kann. Die Testpiloten fackeln nicht lange, geben Vollgas, bremsen den i4 vor der nächsten Kurve brutal zusammen, um in Sekundenbruchteilen wieder voll beschleunigen – immer wieder und immer wieder.
Basismodell mit Heckantrieb
Wir sind zunächst im Basismodell mit Hinterradantrieb unterwegs. Eine Luftfeder an der Hinterachse ist bei allen Versionen Serie – elektronische Dämpfer gibt es dagegen nur auf Wunsch. Wahlweise rollt der Hoffnungsträger auf 18-, 19- oder 20-Zoll-Rädern. Für Winterreifen bieten die Bayern 17-Zöller, die zwar ihren Zweck erfüllen, aufgrund der großen Karosserieflächen aber unterdimensioniert erscheinen.
Nach der Handlingorgie geht es zur kurzen Besprechung an eine wenig einladende Wellblechbaracke auf dem Testgelände. Wegen der Corona Pandemie findet der Austausch draußen statt – trotz der kühlen Temperaturen. Der Mundschutz lässt im kreisrunden Open-Air-Plenum manche Worte verschwimmen – so wird etwas öfter nachgefragt, als man es gewohnt ist.
Nachdem kritische Punkte angesprochen wurden und sich die Reifen abgekühlt haben, geht es wieder mit Elan auf die Strecke. Diesmal Vollgas – abbremsen und wieder Vollgas. Die beiden Prototypen tun einem fast so leid wie die Reifen, die bei der Behandlung schneller auf Temperatur kommen, als es ihnen lieb ist. Dann geht es wieder auf den kurvenreichen Handlingkurs, auf dem David Ferrufino nun wieder selbst ins Steuer greift.
Fahrwerk ohne Fehl und Tadel
„Meine Fahrwerksentwickler können das hier noch etwas besser und schneller als ich“, scherzt er hinter seiner Maske. Kaum zu glauben, denn in der schnellen Kurvenkombi hat der BMW i4 vor dem Anbremsen bereits mehr als Tempo 170 drauf. Die Karosserie wankt schon aufgrund des niedrigen Schwerpunkts nicht und die Elektromotoren zeigen bei den zahlreichen Wiederholungen ebenso wenig Haltbarkeitsschwächen wie die Bremsanlagen. Ferrufino ist sichtlich zufrieden.
Das Marterprogramm gepaart mit bayrischer Fertigungsfähigkeit soll letztlich den Unterschied zum BMW i4 machen und den anderen Elektrolimousinen, die da in den nächsten Jahren auf den Markt rollen. Mittelfristig wird sich der BMW i4 aber nicht nur mit Elektroautos anderer Hersteller auseinandersetzen müssen. Er muss sich auch gegen Verbrenner und Plug-In-Hybride behaupten – nicht zuletzt auch dem aus eigenen Hause.
Das dürfte nicht zuletzt im Innenraum gelingen: Auch wenn der i4 eher Vier- denn Fünfsitzer ist, gibt es bekannte BMW-Bedienmodule, bequeme Sitze und das mit dem iX erstmals vorgestellte Curved-Display (im Format 12,3 und 14,9 Zoll), das sich bis weit in die Mitte des Armaturenbretts zieht. Neben dem Antrieb ist das das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zum Plattformbruder 4er Gran Coupé.
Preis und Reichweite sind noch offen
Stoffsitze wird man im späteren Serienmodell des i4 übrigens vergeblich suchen: Positioniert wird der Stromer schließlich in der Luxusklasse. Wahlweise ist der Innenraum der Elektro-Limousine deshalb mit Leder und Alcantara ausgeschlagen. Alternativ gibt es eine vegane Alternative für um das Tierwohl besorgte Umwelt- und Klimaschützer. Vorne sind die Sitze nicht nur beheizt, sondern auf Wunsch auch klimatisiert zu bekommen. Die Heckklappe wird ebenso elektrisch ausgefahren wie die optional erhältliche Anhängerkupplung.
Der Testtag ist leider viel zu schnell zu Ende. Trotzdem reichen die Eindrücke für ein kleines Zwischenfazit: Der i4 ist ein Jahr vor der Markteinführung erstaunlich reif. Und er bringt gute Voraussetzungen mit, um dem Model 3, aber auch anderen Konkurrenten wie dem Polestar 2 oder dem VW ID. Lounge zumindest Paroli bieten zu können. Über die Verkaufspreise schweigt sich BMW derzeit ebenso noch aus wie über die Reichweite der E-Limousine. Es darf spekuliert werden.
Das BMW 420 Gran Coupé startet bei 42.000 Euro und kommt mit einer Füllung seines Benzintanks bis zu 700 Kilometer weit. Der Aktionsradius des i4 soll über 600 Kilometer groß sein. Und der Preis dürfte sich an den Wettbewerbern orientieren: Der Polstar 2 startet bei 54.000 Euro, das Tesla Model 3 in vergleichbarer Konstellation um die 50.000 Euro. BMW wird sicher nicht drunter bleiben: Dafür gibt es nach der Testfahrt keinen Grund.