Rechts ein Tesla Model 3, links ein Mercedes EQS, zwischendrin elektrische Kleinwagen wie der Opel Corsa-e oder die Renault Zoe: Im Frankfurter Westend, auf der Europaallee und rund um die Messe ist Elektromobilität längst Alltag und erregt normalerweise keinerlei Aufmerksamkeit mehr. Doch dieses Auto ist alles andere als normal und fängt deshalb alle Blicke: Ein paar Wochen nach seiner Weltpremiere als viel beachtete Designstudie ist der Citroën Oli auf Jungfernfahrt in „Mainhattan“ unterwegs.
Er tastet sich dabei vorsichtig über jenes Terrain, auf dem er in drei bis fünf Jahren die nächste Stufe der elektrischen Revolution befeuern könnte. Denn die Stellantis-Tochter Citroën stemmt sich gegen die Preistreiberei bei den Elektroautos und will mit dem Oli aufzeigen, wie grüne Mobilität in Zukunft auch für Familien wieder erschwinglich werden könnte.
So, wie die selige „Ente“ vor bald 75 Jahren Autofahren für eine breite Bevölkerungsschicht erschwinglich gemacht und alle Alltagsbedürfnisse abgedeckt hat, soll auch Oli mit einer radikal reduzierten Konstruktion und smarter Selbstbeschränkung bezahlbare Basismobilität im Batteriezeitalter ermöglichen. Sonst kosten Familienautos künftig nicht mehr 22.000 Euro wie ein aktueller C3 Aircross, sondern eben 36.000 Euro wie ein vollelektrischer Citroën e-C4. Und selbst wenn die Stromer künftig allein über die Masse ein billiger werden sollten, dürften im Gegenzug die Fördergelder weiter versiegen. Unter dem Strich müssen wir am Ende doch wieder mehr bezahlen.
Sparbüchse auf Rädern
Damit der Wagen nicht gleich in die Spießer-Ecke rückt und zum Spielverderber wird, reitet Citroën dabei wie alle auf der SUV-Welle und überzeichnet das Showcar so stark, dass es beinahe zum Bonsai-Hummer wird. Kein Wunder also, dass diese Sparbüchse auf Rädern jedem anderen Stromer hier in der Frankfurter Innenstadt die Schau stiehlt. Der Wagen sieht aus, als wolle er gleich den Frankfurter Stadtwald umpflügen. Und wie der Hummer hat er sogar eine Pick-up-Pritsche. Zumindest, wenn man die Heckklappe runter-, die Rückbank weg-, und die Heckscheibe einklappt.
So selbstbewusst der Oli auftritt, so smart und bescheiden ist er gemeint: „Wir müssen Schluss machen mit dem ewigen Wettrüsten und die Spirale zurückdrehen“, schimpft Bertrand Leherissier aus der Citroën-Produktplanung in Paris. Wo Autobauer wie früher der Metzger fragen, ob es denn auch ein bisschen mehr sein dürfe, predigt er „back to basic“ und wünscht sich deshalb, dass auch weniger genug sein muss: Mehr als 25.000 Euro dürfe ein alltagstaugliches Familienauto nicht kosten, findet Leherissier.
40 kWh Batteriekapazität müssen genügen
Er knüpft daran eine Kausalkette, die Designern und Ingenieuren mächtig Kopfzerbrechen bereitet haben dürfte: Mehr als 40 kWh Batteriekapazität sind bei diesem Preis aktuell nicht drin. Weil der Wagen aber trotzdem 400 Kilometer weit fahren soll, muss der Verbrauch auf 10 kWh sinken. Das ist anderthalbmal so viel wie beim elektrischen C4 und in etwa gleich so viel wie beim Mercedes EQXX. Nur dass dessen Preis wahrscheinlich sechsstellig würde, wenn das millionenschwere Einzelstück in Serie ginge.
Die Lösung dafür ist hier wie dort vor allem eine strenge Diät, deren Ziel Citroën auf 1000 Kilogramm festgelegt hat. Damit wiegt der Oli kaum mehr als doppelt so viel wie der winzige Ami, der aber nur 45 km/h schnell ist, höchstens 75 Kilometer schafft und nur Platz für zwei bietet. Und er ist eine halbe Tonne leichter als der aktuelle C4-e mit seiner immerhin 50 kWh großen Batterie.
Während Mercedes beim EQXX allerdings mit exotischen und deshalb sündhaft teuren Materialien abspeckt, lassen die Franzosen ihre Phantasie spielen und sparen mit smarten Stoffen. Zum Beispiel mit Sitzen, die als luftiges Polyurethan-Skelett aus dem 3D-Drucker laufen und obendrein nur aus sieben statt wie sonst aus mehr als 30 Teilen bestehen. Das drückt die Montage-Kosten – genau wie die baugleichen Front- und Heckstoßfänger oder die auf beiden Seiten identischen Türen.
Hauben und Dach aus gefalteter Pappe
Ebenfalls Gewicht und Geld spart Citroën bei Hauben und Dach, die aus Pappe gefaltet werden. Moment mal. Pappe? Wer da jetzt an den Trabi denkt und Angst vor dem kleinsten Parkrempler hat, den belehrt Designchef Leclercq eines Besseren und steigt dem Showcar buchstäblich aufs Dach: Mit Waben verstärkt und von einem Schutzlack überzogen, ist die Pappe so stabil, dass der Oli zur Terrasse auf dem Bürgersteig wird und man im Stau auf dem Dach ein Picknick machen kann. Denn auch das ist für Citroën Nachhaltigkeit: Das Auto öfter zu nutzen, selbst wenn es nicht ums Fahren geht, sagt Produktmanager Leherissier und malt Phantasiebilder, in denen Kinder den kleinen Franzosen sogar als Klettergerüst nutzen.
Erst einmal allerdings darf der Citroën tatsächlich fahren. Wo man solche Studien sonst auf Socken besteigen und allenfalls im Schritttempo durch irgendein Studio bewegen darf, schwimmt er deshalb ganz selbstverständlich durch den Frankfurter Stadtverkehr. Er fühlt sich dabei an, als wäre er schon reif für die Serie. Kein Wunder, schließlich fußt zumindest der Prototyp auf einer zurechtgestutzten Plattform des elektrischen Citroën C4 und könnte deshalb Stundenlang stromern – Paris, wir kommen!
Charmanter Minimalismus im Innenraum
Das wäre in diesem Auto nicht einmal eine Zumutung. Ja, es zieht und zischt ein wenig durch die Karosserie und an der Heizung müssen sie auch noch arbeiten. Doch dafür gibt es im Innenraum viel zu entdecken. Denn auch der zeugt von einer pfiffigen Pfennigfuchserei – und sieht obendrein noch richtig gut aus.
Komplett durchgefärbt und ausgelegt mit einer Matte aus dem gleichen Material, aus dem Adidas & Co Sneaker-Sohlen backen, wirkt er ausgesprochen luftig. Zugleich setzen die Designer auf einen charmanten Minimalismus mit simplen Türöffnern, Klappfenstern und einem Cockpit, in das erst dann Leben kommt, wenn man sein Smartphone in einen Schlitz neben dem Lenkrad schiebt. Denn statt weiter mit Apple & Co zu konkurrieren, macht sich Citroën die Intelligenz der Smartphones zunutze. Die sind meist ohnehin weiter – und außerdem schon bezahlt, argumentiert Designchef Leclercq.
Natürlich werden sie nicht alles umsetzen können, was sie beim Oli demonstrieren, räumen die Macher ein. Und dass sie uns künftig im Öko-Hummer auf Sparfahrt schicken werden, ist auch unwahrscheinlich. „Doch die Ideen aus dem Concept-Car werden unsere kommenden Modelle befruchten, wir werden die Schraube zurückdrehen und ein bezahlbares Elektroauto bauen“, versprechen die Macher des Oli. Sie ziehen damit am gleichen Strang wie etwa VW mit den Plänen für den ID.2 oder Renault mit dem elektrischen R5.
Wie ernst sie es damit meinen, werden wir schon in einem knappen Jahr sehen: Dann kommt der neue Citroën C3, der schon viele Oli-Ideen umsetzen soll. Mal sehen, ob er ein Blickfang im Frankfurter Stadtverkehr sein wird.