Auf der CES in Las Vegas, der früheren „Consumer Electronic Show“, ist vieles anders. Das liegt nicht nur am Veranstaltungsort, der auch ohne eine Messe täglich zehntausende Menschen in die Wüste Nevadas zieht. Die CES gilt als Gradmesser der Tech-Szene und feiert sich selbstbewusst als „das einflussreichste Technologieereignis der Welt – das Experimentierfeld für bahnbrechende Technologien und globale Innovatoren.“ Kein Wunder, dass die Autobranche die Vegas-Messe neben dem sommerlichen Luxusevent von Pebble Beach längst zu ihrer Lieblingsveranstaltung in der westlichen Welt auserkoren hat, wenn es um eine zeitgemäße Außendarstellung geht. Schließlich gilt das Auto inzwischen als ein Smartphone auf Rädern, bei dem die Vernetzung wichtiger ist als die Antriebsleistung.
Zugegeben war die Zahl der Automarken, die auf der Consumer Electronic Show ihre großen Auftritte mit und ohne millionenschwere Key Notes zelebrierten, schon größer, auch das Angebot breiter. Trampelten zahllose Start-Ups, europäische Premiummarken und aufstrebende Konzerne aus Asien früher Anfang Januar gewissermaßen im Gleichschritt durch „Sin City“, so ist der Andrang aus Übersee in den vergangenen vier Jahren auch unter dem Einfluss der Corona-Pandemie deutlich zurückgegangen. Und auch in diesem Jahr werden wir einige Aussteller früherer Jahre vermissen. Einige Start-Ups wie Argo AI sind seit dem Ausstieg von Volkswagen und Ford als Anbieter von Technologien rund um das automatisierte Fahren mächtig unter die Räder gekommen. Und manche Unternehmen stellen – wohl auch aus Kostengründen – in Las Vegas nur noch aus, wenn sie wirklich etwas Neues zu berichten haben.
Leben im „Metaverse“
Was nicht heißt, dass die Besucher vom 5. bis zum 8. Januar mangels Ausstellern durch weitgehend leere Hallen laufen werden. Die Messeegesellschaft erwartet über 3000 Aussteller aus aller Welt – Unternehmen aus der IT-Branche und der Unterhaltungselektronik, aus der Medizintechnik und der Nahrungsmittelindustrie, aus der Fitness-Branche und ja, auch der Autoindustrie. Es geht um das smarte Home und die smarte Stadt von morgen, die umweltverträgliche Mobilität und die klimaverträgliche Versorgung mit Lebensmitteln, um Künstliche Intelligenz, intelligente Drohne und Raumfahrt. Und natürlich geht es um das „Metaverse“, um die digitale Welt und die virtuellen Räume, in denen sich unser Leben künftig noch viel intensiver als schon bisher abspielen soll.
Für die Autoindustrie ist die CES inzwischen fast schon ein Heimspiel – klassische Automessen finden inzwischen ja auch fast nur noch im Fernen Osten statt. So wird auch die 2023er-Auflage der CES aus automobiler Sicht nicht nur einen interessante Neuigkeiten, sondern auch einen imposanten Zweikampf bieten: Sowohl BMW als auch Stellantis haben sich beide mit publikumswirksamen Key-Note-Veranstaltungen mit ihren Vorstandschefs eingekauft.
BMW gibt Vorgeschmack auf die „Neue Klasse“
Statt eines neuen Serienfahrfahrzeugs stellt BMW eine „realitätsnahe Vision“ des voll vernetzten Autos der Zukunft vor – eine Art Vorgeschmack auf die vollelektrische „Neue Klasse“, die 2025 auf den Markt kommen soll. Nicht nur Design und Technologie, sondern auch Bedienkonzepte und Innenraumgestaltung, werden auf dem Messestand im Vordergrund stehen.
Hatte BMW ursprünglich gehofft, den automobilen Fokus ganz auf sich richten zu können, drängt sich mit Stellantis nun ein Großkonzern ins Scheinwerferlicht, der in Las Vegas bisher kaum von sich reden gemacht hatte. „Wir zeigen auf der CES das Beste unserer Technologie. Sie zielt darauf ab, unsere Kunden zu begeistern und den Klimawandel zu bekämpfen, die größte globale Herausforderung von heute“, kündigte Stellantis-CEO Carlos Tavares schon im Vorfeld vollmundig an. „Sie werden sehen, wie wir elektrifizierte und emissionsfreie Antrieb auf den Markt bringen, wie unsere Software die Mobilität einfacher und sicherer macht, und wie Nachhaltigkeit in all unseren Entscheidungen verankert ist.“
Und das nicht nur virtuell und in Powerpoint-Präsentationen, sondern ganz konkret. So zeigt Stellantis in Las Vegas unter anderem das Peugeot sein neues „Inception-Konzept“ – das „Versprechen eines noch nie dagewesenen Fahrgefühls “ auf den Markenwerten Allure, Emotion und Excellence und der Basis einer gänzlich neuen Elektro-Plattform.
Autofahrt wird bei Audi zum Gaming-Erlebnis
Auf noch größeres Interesse dürfte in den USA allerdings die seriennahe Studie des vollelektrischen Full-Size-Pick-Ups Ram 1500 „Revolution“ stoßen – die Antwort von Dodge auf den Ford F-150 Lightning und den Rivian R1T. Auch Jeep gibt auf der CES einen Ausblick auf die vollelektrische Zukunft der Marke. Die Fans von amerikanischen Muscle Cars können sich zudem auf den Dodge Charger Daytona SRT BEV freuen, der Emotionen und Höchstleistungen von Elektroautos auf ein neues Niveau heben soll.
Und womit glänzen die anderen Autohersteller?
Audi zeigt das System Holoride, das in einigen Fahrzeugen der Modellreihe 2023, die seit Sommer auf dem Markt ist, verfügbar ist. Freilich als Aufrüstung und freilich gegen Aufpreis. Die VR-Spiele können sogar die Bewegungen des Fahrzeugs ins Spiel einrechnen. Audi wird die Innovation am Gemeinschaftsstand von Cariad präsentieren. Die Software-Tochter der Volkswagengruppe bildet den perfekten Hub zwischen neuer und alter Auto-Welt.
Mercedes erfindet Popkultur neu
Und Mercedes? Die Stuttgarter hatten vor zwei Jahren noch mit den ersten spektakulären Bildern aus dem Cameron-Epos „Avatar 2“ Besucher auf seinen Stand gelockt. Diesmal geht es einfach nur um „Tech to Desire“ – neue technologische Entwicklungen, die das Leben der Kunden bereichern, ihnen Zeit schenken, den Alltag erleichtern und Begeisterung wecken. „Gemeinsam mit verschiedenen Kooperationspartnern“ wollen Technikvorstand Markus Schäfer und Chief Software Officer Magnus Östberg „eine Ankündigung zur Mercedes‑Benz Elektrifizierungsstrategie machen, über automatisiertes Fahren sprechen und erläutern, wie neue Entwicklungen in den Bereichen Audio, Streaming und Unterhaltung im Fahrzeug die Kunden und Kundinnen begeistern werden“. Darüber hinaus will Mercedes‑Benz eine Zusammenarbeit mit einer innovativen Unterhaltungsmarke bekanntgeben, die eine Ikone der Popkultur neu erfindet. Klingt so nebulös wie spannend – lassen wir uns überraschen.
Und sonst so? Hyundai und Kia werden auf der CES 2023 ihre „Zero1Ne“ präsentieren, eine Plattform für kreative Talente, die ein Ökosystem für Kreative und Start-ups fördert und eine Grundlage für die aktive Beteiligung der Hyundai Motor Group schafft. Auch Bosch und Continental sind wieder auf der CES vertreten. Conti will eine neue Softwareplattform vorstellen, die die Entwicklung von Mobilitäts-Apps beschleunigen soll. Gezeigt wird aber auch ein neues großformatives „Curved Display“, das Autofahrern nicht nur noch mehr Informationen als bisher liefert, sondern auch Möglichkeiten offeriert, sich während Ladepausen die Zeit zu vertreiben.
Bosch glänzt mit breitem Portfolio
Bosch präsentiert sich in Las Vegas mit einem breiten Portfolio an technischen Lösungen für eine „intelligentere und sichere Zukunft“ – von akkubetriebenen, wetterfesten Außenlautsprechern über Fahrdynamikreglern und einem Fernbereichs-Lidarsystem für das automatisierte Fahren auf Level 4 bis hin zu e-Achsen und dem neuen ABS-System für Cargo-Bikes mit elektrischer Trittunterstützung. Da ist für jeden etwas Technik-interessierten etwas dabei. Wir sind vor Ort und werden in der kommenden Woche hier ausführlich über die Neuigkeiten der CES berichten.
Mit Ergänzungen von Franz Rother