Genesis? Richtig, so heißt die vor über 50 Jahren gegründete – und immer noch aktive – britische Rockband, die mit Hits wie „Invisable Touch“, „Land of Confusion“ und „That’s All“ (um nur ein paar zu nennen) Musikgeschichte schrieb.
Neuerdings gibt es auch eine Automarke gleichen Namens in Deutschland. Statt in Großbritannien wurde sie in Südkorea aus der Taufe gehoben. Und obwohl sie bei uns erst seit gut einem Jahr auf dem Markt ist und das Markenlogo auf der Fronthaube selbst manchen Autoliebhabern noch Rätseln aufgibt, ist Genesis auch hier hitverdächtig: Statt mit vier Akkorden allerdings auf vier Rädern.
Anfang November wurde der vollelektrische Genesis GV 60 von der hochkarätig besetzten Jury (der auch der Autor angehört) zum „German Premium Car of the Year“ (GCOTY) gekürt. Und kürzlich besiegte das Elektro-SUV Genesis Electrified GV70 in einem großen Vergleichstest von AUTO BILD das vielfach gehypte Tesla Model Y und den Ford Mustang Mach-E in der bärenstarken GT-Version. Wie kann das sein?
Beantworten soll uns die Frage eine ausgiebige Erprobung des vollelektrischen GV70 – in der Übergangszeit wird das 4,71 Meter lange Luxus-SUV zum Preis von 48.800 Euro auch noch mit einem Vierzylinder-Dieselmotor angeboten. Von Selbstzündern mit Achtgang-Automatik wollen wir natürlich nichts mehr wissen – uns reicht ein Einganggetriebe. Und Thermodynamik interessiert uns nur noch, wenn es um Wärmepumpen geht.
Da kommt Mercedes nicht mit
Die hat der elektrifizierte Genesis GV70 , wie der Blick in die Ausstattungsliste des Testwagens zeigt, serienmäßig an Bord. Ebenso wie ein Batterie-Heizsystem, eine Klimaanlage – und alles, was man heute angeblich so alles an Assistenten braucht, um einigermaßen sicher ans Ziel zu kommen. Zusätzlich verfügt der mattgrau lackierte Testwagen über ein „Technikpaket“, das unter anderem ein Head-up-Display beinhaltet, das „Komfortpaket“, um im Winter nicht nur alle Sitze, sondern auch das Lenkrad heizen zu können, ein riesiges, auch zu öffnendes Panorama-Glasdach, ein Lexikon-Audiosystem sowie 20 Zoll große (sehr schicke) Leichtmetallräder.
Sie ahnen schon: vom Preis des Dieselmodells hat sich dieser GV70 mit einem Listenpreis von 84.300 Euro ebenso deutlich entfernt wie vom Basispreis des Stromers, der immerhin 67.300 Euro beträgt. Auf die BAFA-Liste der förderfähigen Elektroautos hat es der Elektro-Trumm damit in diesem Jahr so gerade noch geschafft. Keine Frage: Der Genesis ist ein Luxus-Stromer.
Aber der neue Mercedes-Benz EQC etwa ist in gleicher Ausstattung und mit einer geringfügig größeren Batteriekapazität (80 statt 77,4 kWh) nicht nur deutlich teurer, sondern ebendrein schwächer motorisiert (300 statt 360 kW Systemleistung). Dafür lädt der Elektro-SUV aus Stuttgart den Strom nur mit maximal 110 kW – der Genesis nimmt Gleichstrom am Schnelllader dank eines 800-Volt-Bordsystems mit bis zu 240 kW auf. Zwar nicht immer, aber wenn bei der Suche nach einer Schnellladesäule das Navigationssystem genutzt wird und der Akku vorkonditioniert den Ladeplatz erreicht, durchaus häufig. Mit der Folge, dass man dort maximal 20 Minuten verbringt. Da kommt der Mercedes nicht mit.
Technische Daten
Allradantrieb mit zwei, je 180 kW (245 PS) starken Elektromotoren, max. Drehmoment: 700 Nm;
Lithium-Ionen-Akku mit 77,4 kWh Speicherkapazität;
Maximale Ladeleistung: 240 kW DC, 11 kW AC;
Durchschnittlicher Stromverbrauch nach WLTP-Norm: 19,2 kWh/100 km;
Reichweite (nach WLTP): 455 Kilometer im Drittelmix, 590 km im Stadtverkehr;
Länge/Breite/Höhe: 4715/1995/1630 mm; Radstand: 2875 mm;
Höchstgeschwindigkeit: 235 km/h;
Basispreis: 67.300 Euro, Testwagenpreis: 84.230 Euro.
Und auch ansonsten spielt der Genesis aus dem Hyundai-Kia-Konzern problemlos in der elektrischen Oberliga mit. Der Innenraum ist erstklassig eingerichtet, mit viel Platz für Kopf und Beine, mit viel Wohlfühl-Ambiente und feinen Materialien wie Oberflächen. In der Topversion nicht unbedingt vegan, aber Lederhäute haben optisch wie haptisch auch ihre Qualitäten und sind obendrein pflegeleichter. Ob das auch für die Sitzbezüge aus wiederaufbereitetem Plastikmüll gilt, darf bezweifelt werden.
Stromverbrauch von 26 kWh/100 km
Das Platzangebot ist gut, wenngleich nicht berauschend: Dass der GV70 ein Elektro-Transformer ist, zeigt sich vor allem auf der Rücksitzbank deutlich, wenn vorne ein Mensch mit 1,80 Meter Größe hinterm Lenkrad sitzt. Die Rückenlehne lässt sich zwar verstellen, die Position der Sitzbank aber im Unterschied zum Ioniq 5 nicht: Das engt die Möglichkeiten der Raumgestaltung leider etwas ein. Kofferraumvolumen hingegen gibt es reichlich, zumal es vorne im so genannten „Frunk“ noch Platz für das Ladekabel gibt.
Und der Antrieb? Bietet eine Menge Dynamik und Fahrspaß, geht aber nicht besonders sparsam mit der im Akku gespeicherten Energie um: Unter 25 kWh/100 km war der 2,4 Tonner im Test kaum zu bewegen – am Ende des Tests über 1440 Kilometer stand ein Durchschnittsverbrauch von glatt 26 kWh/100 km. Ansonsten waren Fahrten mit dem Genesis die reinste Freude. Die Lenkung ist erfreulich direkt, die Straßenlage nur mit „satt“ zu bezeichnen.
Power-Boost für zehn Sekunden
Der Fahrgastraum ist gut gedämmt, obendrein gibt es noch eine aktive Geräuschunterdrückung sowie ein adaptives Fahrwerk, das mithilfe einer Kamera die Fahrbahn erkundet – der Fahrkomfort ist einfach traumhaft. Das hervorragende Soundsystem aufgedreht, über Apple Car Play Spotify aktiviert und „Invisable Touch“ ausgewählt – da kommt auf der Langstrecke Freude auf.
Zumindest so weit der Akku trägt. Bis zu 455 Kilometer verspricht der Herstelle. Aber mehr als 310 Kilometer haben wir im Test beim besten Willen nicht geschafft – weder im Eco-Modus noch mit dem „Smart Generation“-System, das die Regeneration von Bremsenergie intelligent steuert. Dafür ist der Elctric GV70 einfach zu schwer, die Freude an den dynamischen Qualitäten des kW-starken Allradlers (die sich per Druck auf den „Boost“-Knopf im Lenkrad auch noch für zehn Sekunden steigern lassen) einfach zu groß.
Update fürs Navi
Und noch eine andere Schwäche offenbarte der Test. So braucht das Software-System dringend ein Update, um auch in der Disziplin mit der Konkurrenz wenigstens gleichziehen zu können. Ein prädikatives Lademanagement – das den Stromer unter Berücksichtigung des Verbrauchs und des Reiseziels, idealerweise auch mit Blick auf die Verfügbarkeit der Ladeplätze – automatisch zur nächsten Stromtankstelle leitet, hat der Koreaner aktuell nicht zu bieten – in dem Punkt hat sowohl der erwähnte Mercedes EQC, aber auch der Audi e-tron deutlich mehr zu bieten. „Der Thematik sind wir uns bewusst“, heißt es dazu bei Genesis. „Zeitnah“ werde es deshalb ein Update für die Software des Navigationssystems geben, in dem sämtliche Ladeplätze von Shell Recharge (und dessen Roaming-Partnern) enthalten sein werden, egal, wie schnell der Strom dort fließt.
Das klingt gut und lässt hoffen. Auch auf einen Genesis unterhalb von GV70 und GV60, mit allen Annehmlichkeiten und technischen Finessen der Schwestermodelle, aber preislich einige Tausend Euro darunter. Für einen „Visible Touch“ dann auch für Normalverdiener.