Shell hat eine Vereinbarung unterzeichnet, das Berliner Start-up Ubitricity zu kaufen. Der Deal soll bis zum Jahresende abgeschlossen sein. Ubitricity wäre dann eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von Shell. Erste Auswirkungen in Form neuer (garantiert größerer) Projekte von Ubitricity für die Förderung der Ladeinfrastruktur für Elektroautos dürfte es vermutlich bereits in diesem Jahr geben.
Ubitricity passt augenscheinlich ideal zur neuen grünen Linie von Shell, der bis spätestens 2050 ein Netto-Null-Emissions-Energieunternehmen werden will. Shell hatte dazu unter anderem schon 2017 den führenden niederländischen E-Mobility Service-Provider New Motion übernommen, der Fahrern von Elektroautos aktuell den Zugang zu über 155.000 öffentlichen Ladestationen verschafft – als Shell Recharge ist das Unternehmen inzwischen in den Konzern integriert und Ladepartner unter anderem von Ford und Fiat/Stellantis. Später kam mit Sonnen auch noch Europas führender Anbieter von Stromspeichern hinzu.
Das frühere Startup von der Spree ist da eine sehr gute Ergänzung: Ubitricity ist in Europa mittlerweile ein führender On-Street-Ladeanbieter für Elektroautos. Spezialität der Berliner sind die in Straßenlaternen eingebauten Ladepunkte. In Großbritannien zum Beispiel betreibt das Berliner Unternehmen aktuell dass größte öffentliche EV-Ladenetzwerk mit aktuell über 2700 Ladepunkten (13 Prozent Marktanteil), die komplett in Straßenlaternen oder Straßenpoller integriert sind. Tendenz steigend.
Ubitricity weitet Ladenetz für E-Autos aus
Allein in London gibt es nach Aussage von Ubitricity inzwischen viele Straßen, in denen jede Straßenlaterne im Innenraum mit Ubitricity-Ladetechnik nachgerüstet ist. Über eine App schnell zu finden, zugänglich per QR-Code und einem gängigen Typ 2-Ladekabel. Mittlerweile ist Ubitricity schon in sechs europäischen Ländern aktiv. Zuletzt gab es ein Projekt im französischen Calais, bei dem noch eine zusätzliche Schuko-Steckdose in die Ladepunkte integriert wurde – ideal zum Laden für sämtliche elektrischen Zwei- und Dreiradfahrzeuge. Diese Technik dürfte schnell Schule machen und den Ausbau des Ladenetzes für Elektroautos beschleunigen. Zudem existieren in Europa schon über 1500 Ubitricity-Ladepunkte für Flottenkunden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es in Großbritannien eine Kooperation mit Siemens gibt. Der Großkonzern arbeitet seit 2017 mit Ubitricity zusammen und hat eine Reihe von Ladepunkten in London installiert. Siemens übernimmt dabei nicht nur die Installation, sondern auch die Wartung der „SimpleSocket“-Ladelösungen von Ubitricity in den Laternen. Und zwischen Shell und Siemens gibt es seit längerem diverse Kooperationen auf dem Energiesektor: Da könnte sich ein weiterer Kreis schließen.
Bei Ubitricity gibt es neuerdings auch Expansionspläne in Richtung Fernost, zum Beispiel für Japan und Macao. Und in Berlin selbst beteiligt sich Ubitricity nach ziemlichen Querelen an einer Ausschreibung für öffentliche Ladepunkte an den hauptstädtischen Straßenlaternen. Das Ergebnis soll hier bis spätestens Ende März bekanntgegeben werden, offenbar hat das Berliner Unternehmen Ubitricity gute Chancen. Die Übernahme durch Shell dürfte da garantiert einen positiven Einfluss haben.
„Ubitricity und Shell passen perfekt“
Auch deshalb passt die Übernahme zum jetzigen Zeitpunkt perfekt. Für Lex Hartman, den CEO von Ubitricity, ist Shell „das ideale Unternehmen, um unsere Wachstumsstrategie zu unterstützen“. Er macht gleich euphorisch Eigenwerbung: „Was die Menschen an Ubitricity begeistert, ist, dass wir Ladepunkte in die bestehende Straßeninfrastruktur integrieren und damit für jeden eine einfach zugängliche Möglichkeit schaffen, zu laden, wann und wo man Strom braucht – vor allem in Städten, wo ein Großteil der Anwohner keine Möglichkeit hat, privat zu laden.“ Durch die Kombination dieses Puzzleteils mit den bereits vorhandenen EV-Ladelösungen von Shell, so Hartmann, würden Fahrer von Elektroautos nun Zugriff auf eine Fülle von Lademöglichkeiten bekommen, „so dass Shell und Ubitricity perfekt zusammenpassen.“
Auch vom Ölriesen kommen sehr optimistische Töne zur Übernahme. Grundsätzlich stelle diese Entscheidung „einen weiteren Schritt in den Bemühungen von Shell dar, Autofahrer beim Umstieg auf kohlenstoffärmeren Transport zu unterstützen.“ Diese Akquisition markiere die Expansion von Shell in den schnell wachsenden Markt für das Laden von Elektrofahrzeugen auf der Straße, sie werde, so heißt es aus dem Unternehmen, „wichtige Kompetenzen bereitstellen, die Shell dabei helfen, das Angebot zum Laden von Elektrofahrzeugen zu skalieren“. Dies umfasse bereits über 1.000 ultraschnelle und schnelle Ladestationen an rund 430 Shell-Einzelhandelsstandorten sowie den weltweiten Zugang zu über 185.000 EV-Ladestationen von Drittanbietern an öffentlichen Standorten.
Shell will das Umsteigen erleichtern
István Kapitány, Executive Vice President von Shell Global Mobility, äußert sich letztendlich ähnlich wie Hartmann: „In Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden möchten wir die wachsende Anzahl von Shell-Kunden, die auf ein Elektrofahrzeug umsteigen möchten, unterstützen, indem wir das für sie so bequem wie möglich gestalten – Optionen auf der Straße wie das von Ubitricity angebotene Aufladen von Laternenpfählen sind der Schlüssel für diejenigen, die in Städten leben und arbeiten oder nur eingeschränkten Zugang zu Parkplätzen abseits der Straße haben.“ Der Kauf von Ubitricity sei ein weiterer Schritt für das Bemühen von Shell, seine kohlenstoffarmen Transportmöglichkeiten für die Kunden zu erweitern und so ihren CO2-Fußabdruck zu verringern.
Klingt erst einmal edel und heroisch, ist aber viel mehr als die übliche Marketingpoesie. Tatsächlich ist das Ganze eine wundervolle Geschäftsidee, denn der riesige Markt fürs bequeme Laden von Elektroautos an vorhandener öffentlicher Infrastruktur steht bei der Erschließung weltweit noch völlig am Anfang. Nur mal eine einzige Zahl: Allein in Berlin gibt es rund 224.000 öffentliche Straßenleuchten, die schnell mit Ladetechnik für Elektroautos ausgestattet werden könnten.