Elektroautos sind extrem wetterfühlig: Fallen die Außentemperaturen auf den Gefrierpunkt oder gar darunter, sinken die Reichweiten – je nach Fahrzeug zum Teil dramatisch um bis zu 30 Prozent. Temperaturen, wie erst kürzlich wieder Tests des norwegischen Automobilverbandes NAF im eisigen Norden zeigten. Mit Dr. Roger Busch, dem Entwicklungsleiter des Geschäftsbereichs Thermomanagement bei Mahle in Stuttgart, haben wir uns darüber unterhalten, woran das liegt – und was sich dagegen tun lässt.

Herr Dr. Busch, die Temperaturen fallen und wir stellen erstaunt fest: Viele Elektroautos kommen nicht mehr so weit wie im Sommer. Woran liegt das?

Sie brauchen recht viel Energie, um Ihren Innenraum zu heizen. Aber ich würde die Antwort auf Ihre Frage gerne weiter fassen, historisch.

Wenn es für das Verständnis hilfreich ist – bitte!

In der alten Welt des klassischen Verbrennungsmotors geht es beim Thermomanagement in erster Linie darum, den Motor zu kühlen, eine Überhitzung zu verhindern. Die Energie, um den Innenraum zu heizen, gibt es gewissermaßen umsonst – die Abwärme des Verbrennungsmotors. Die Abwärme geht ins Kühlmittel und wird zum Heizen des Innenraums genutzt. Dazu dient ein klassischer Heizkörper im Innenraum. 

Dr. Roger Busch
Der Maschinenbau-Ingenieur und frühere Bosch-Manager ist bei Mahle in Stuttgart globaler Entwicklungsleiter für den Geschäftsbereich Thermomanagement. Foto: Mahle

Aber jetzt erleben wir einen Paradigmenwechsel, wenn man so will: Im Elektroauto gibt es so gut wie keine Abwärme mehr, die man zum Heizen nutzen könnte.

Genau. Jetzt haben sie einen Antriebsstrang, der teilweise gekühlt werden muss. Das betrifft den Elektromotor, teilweise auch die Leistungselektronik. Aber wir haben nicht die Abwärme wie früher, weil der Elektroantrieb viel effizienter ist. Deshalb braucht es jetzt ein intelligentes Thermomanagement, um den Innenraum im Winter zu heizen, ohne dafür zu viel Energie aus der Batterie herauszunehmen. Und es gibt noch eine andere Anforderung an das Thermomanagement.

Nämlich?

Für die Batterie eine Art Wohlfühlklima zu schaffen. Eine Lithium-Ionen-Batterie funktioniert nur in einem bestimmten Temperaturfenster wirklich gut. Nur in warmem Zustand nimmt sie Strom schnell auf. Andererseits muss ich sie aber auch kühlen – je höher die Ladeleistung, desto stärker die Kühlung.

Das erklärt, warum Ladevorgänge im Winter oft länger dauern als sonst.

Richtig. Das Thermomanagement ist auch hier ganz entscheidend.

Aber bevor wir dazu kommen: Wie groß ist in etwa der Energieaufwand zum Aufheizen des Innenraums eines Kompaktwagen?

Wenn draußen Minustemperaturen herrschen und Sie keine Wärmepumpe in Ihrem Elektroauto haben, brauchen sie zunächst zum Aufheizen des Innenraums eine elektrische Heizleistung in der Größenordnung zwischen 6 bis 8 kW. Wir reden da immerhin über eine Luftmenge von bis zu 300 Kilogramm pro Stunde, die anfänglich als kalte Frischluft in den Innenraum des Autos strömt und auf eine angenehme Temperatur gebracht werden muss.

Bei Elektroautos mit einer Akkukapazität von 40 kWh könnte also theoretisch nach fünf Stunden in der Kälte die Batterie leer sein, ohne dass das Auto nur einen Kilometer fährt?

Nein, nicht wirklich, da diese hohen Heizleistungen nur anfänglich zum Aufheizen des noch kalten Innenraums benötigt werden. Sobald der Innenraum erwärmt ist, reduziert sich die notwendige Leistung deutlich. Aber das hängt natürlich auch immer vom Fahrzeug ab, von seiner Konstruktion und Konzeption. Wenn das Elektroauto auf einer Verbrenner-Plattform aufbaut, dann ist oft noch ein Standard-Klimagerät an Bord, dazu vielleicht noch einen Zusatzheizer. Bei einem Auto, das ausschließlich elektrisch fährt und als reines Elektroauto konzipiert wurde, sieht das natürlich anders aus.

Lithium-Ionen-Akku im Wasserbett
Per Immersionskühlung will Mahle Elektroautos winterfest machen. Eine elektrisch nicht leitende Kühlflüssigkeit umspült hier die Zellen der Batterie. Auch die Schnellladefähigkeit des Akkus wird dadurch deutlich verbessert. Foto: Mahle
Lithium-Ionen-Akku im Wasserbett
Per Immersionskühlung will Mahle Elektroautos winterfest machen. Eine elektrisch nicht leitende Kühlflüssigkeit umspült hier die Zellen der Batterie. Auch die Schnellladefähigkeit des Akkus wird dadurch deutlich verbessert. Foto: Mahle

Weil das Thermomanagement dann ganz auf den Elektroantrieb zugeschnitten ist?

Im Idealfall schon. Dann wird die Temperierung der Batterie und des Innenraums gesamtheitlich betrachtet und auf Effizienz getrimmt sein.

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Beispielsweise mithilfe einer Wärmepumpe ?

Richtig. Beim klassischen Verbrennungsmotor haben Sie einen Klimakompressor und kühlen mittels eines Verdampfers den Innenraum. Bei batterieelektrischen Fahrzeugen haben sie einen elektrischen Kompressor, weil keinen Riementrieb mehr gibt, der einen mechanischen Kompressor antreiben kann. Der Kompressor ist eigentlich das Herzstück des Klima- und auch Wärmepumpen-Systems.

Letzteres nutzen viele ja inzwischen auch für das Heizen ihres Hauses.

Genau. Die Wärmepumpe sorgt dafür, dass Sie nicht nur die elektrische Energie aus der Batterie nutzen, um den Innenraum mit aufzuheizen. Denn das ginge zu Lasten der Reichweite. Im Winter kann diese um 20 bis 30 Prozent schrumpfen. Stattdessen nutzen Sie bei einer Wärmepumpe idealerweise alle vorhandenen Wärmequellen im Fahrzeug und die Umgebungswärme, um den Innenraum aufzuwärmen. Damit kriegen Sie mehr Heizleistung hinten raus, als Sie vorne für die elektrische Heizung reinstecken.

Reichweite schrumpft bei Kälte um bis zu einem Drittel
Elektroautos kommen ganz unterschiedlich mit niedrigen Temperaturen zurecht, wie die Übersicht der US-Plattform Recurrent zeigt. Dargestellt sind die Reichweiten bei 20 Grad Celsius (hellblauer Balken) und bei minus 6 Grad (dunkelblauer Balken).
Reichweite schrumpft bei Kälte um bis zu einem Drittel
Elektroautos kommen ganz unterschiedlich mit niedrigen Temperaturen zurecht, wie die Übersicht der US-Plattform Recurrent zeigt. Dargestellt sind die Reichweiten bei 20 Grad Celsius (hellblauer Balken) und bei minus 6 Grad (dunkelblauer Balken).

Warum hat die dann nicht jedes Elektroauto serienmäßig an Bord?

Gute Frage. Mit einer Wärmepumpe sind zusätzliche Kosten verbunden, und in vielen Fällen reicht durchaus eine elektrische Heizung. Die sollte man nicht verdammen. Denn sie hat auch Vorteile.

Nämlich?

Die von ihr produzierte Wärme ist sofort verfügbar, damit kann der Innenraum sehr schnell auf Wohlfühltemperatur gebracht werden. Eine Wärmepumpe ist energieeffizienter, braucht aber etwas mehr Zeit, um ihre Wirkung entfalten zu können.

Eigentlich braucht es also zwei Systeme?

Oder eine Technik, die beide Systeme über ein Thermomanagement zusammenbringt – die Klimatisierung des Innenraums und die des Antriebsstrangs, auch um die Batterie bei Laune und Ladezeiten kurz zu halten. Die Zeiten, in denen es die Kühlfraktion für den Motor gab und die Klima-Fraktion für den Innenraum, sind vorbei. Man muss heute beide Systeme gemeinsam denken, um ein Optimum zu finden.

Das machen aber noch nicht alle Autohersteller?

Sie machen es noch nicht alle, aber die Erkenntnis setzt sich immer stärker durch. Denn das ist unterm Strich nicht nur die effizienteste, sondern auch die günstigste Lösung. Wir glauben jedenfalls fest an eine intelligente Komplett-Systemintegration auf einer Modul-Basis. Und wir werden in naher Zukunft noch viele Innovationen sehen – auch wegen der steigenden Ladeleistungen der Elektroautos.

„Die Lithium-Ionen-Zelle ist auch nur ein Mensch“

Roger Busch zum Wohlfühl-Klima von Hochvolt-Akkus

Manche Elektromobilisten behaupten ja auch, man müsse eine Batterie warm fahren, bevor es an eine Ladestation geht.

Da ist tatsächlich was dran. Sie wollen die elektrische Energie aus der Ladesäule in chemische Energie in der Lithium-Ionen-Zelle umwandeln. Und je nach Ladestand verändert sich der Stromfluss. Eine Rolle spielt dabei die Temperatur des Akkus: Um schnell laden zu können, darf die Batterie nicht kalt sein. Einige Autohersteller konditionieren deshalb die Batterie bei der Fahrt zur Ladestation über ein intelligentes Thermomanagement vor.

Durch „Warmfahren“ lässt sich das nicht erreichen?

Doch, aber dafür müsste die Batterie schon ziemlich leer gefahren werden. Die Batterie wird ja dann auch heißer.

Wo liegen da die ideale Temperaturen?

Die Lithium-Ionen-Zelle ist auch nur ein Mensch, wenn ich das mal so sagen darf. Ihre Wohlfühltemperatur liegt zwischen 20 und 40 Grad. Aber das hängt auch von der Zellchemie und den Anoden und Kathoden ab. Das sind Faktoren, die entscheiden, wie schnell sie die Ladung in den Akku hineinkriegen und wie schnell wieder heraus. Meist steigt mit der Energiedichte der Innenwiderstand. Und natürlich hängt die Ladegeschwindigkeit vom Ladestand ab, also der Frage: Wie viel Platz haben die Ionen noch, sich einzulagern?

Deshalb geht die Ladeleistung meist bei einem Füllstand von 80 Prozent rapide runter.

Richtig. Weil dann durch Reibung viel Wärme entsteht, die abgeführt werden muss. Bei Ladeleistungen um 300 kW reden wir über Kälteleistungen von bis zu 15 kW, die zur Verfügung gestellt werden müssen. Das zeigt, wie wichtig ein leistungsfähiges Thermomanagement ist, dass die Temperierung aller Einzelelemente zusammen denkt. Sonst haben Sie einen E-Kompressor, der entweder das eine oder nur das andere kann. Der kann entweder den Innenraum klimatisieren oder den Akku. Dann muss man sich im Sommer am Schnelllader entscheiden, ob man länger im gekühlten Innenraum sitzen bleibt oder lieber draußen schwitzt, um die Batterie schneller laden zu können. Wir bei Mahle haben deshalb einen sehr leistungsfähigen E-Kompressor entwickelt, der beide Systeme parallel betreiben kann.

Einer für alles
 Der E-Kompressor von Mahle ist so stark, dass er sowohl den Fahrzeuginnenraums als auch die Batterie eines Elektroautos klimatisieren kann. Das spart Energie, erhöht die Reichweite des Stromers, aber auch dessen Ladegeschwindigkeit.
Einer für alles
 Der E-Kompressor von Mahle ist so stark, dass er sowohl den Fahrzeuginnenraums als auch die Batterie eines Elektroautos klimatisieren kann. Das spart Energie, erhöht die Reichweite des Stromers, aber auch dessen Ladegeschwindigkeit.

Um es noch einmal zusammenzufassen: Vor einem Ladevorgang im Winter brauche ich erst mal Energie, um die Batterie auf Temperatur zu bringen. Und im Sommer während eines Ladevorgangs brauche ich Energie, um die Batterie zu kühlen?

So ist das.

Da geht ja dann doch einiges an Energie verloren, die man eigentlich lieber fürs Fahren nutzen würde. Wie groß ist der Energieaufwand für die Konditionierung des Akkus?

Für eine reine Konditionierung im Winter reichen ungefähr zwei bis drei Kilowattstunden, ebenso für einen Schnellladevorgang mit 300 kW im Sommer. Und der Kühlbedarf für die Batterien steigt immer mehr, auch während der Fahrt – auch um der Alterung der Zellen entgegenzuwirken. Auf einer Autobahnfahrt reicht allerdings meistens der Niedertemperatur-Wärmeübertrager – ein klassischer Kühler im Vorderwagen. Damit kühlen Sie den Elektromotor und in den meisten Fällen auch die Batterie. Der Kühlmittel-Kreislauf ist da nicht gefordert. Das kriegt man gewissermaßen umsonst. Nur im Stau und im Sommer reicht der Fahrwind nicht mehr, dann brauchen Sie einen Chiller, eine aktive Kühlung.

Ist der Aufwand für das Thermomanagement bei einer 400-Volt-Architektur eigentlich kleiner oder größer als bei einer 800-Volt-Architektur?

Da gibt es in dem Punkt keinen großen Unterschied. Unser E-Kompressor taugt für beide Spannungslagen.

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3 Kommentare

  1. Jürgen Baumann

    Es gibt noch einen Grund, warum nicht einfach DiEsel gekauft werden sollte. Ein kleines Rechenexempel von mir: seit 2016 habe ich 71’857 km elektrisch zurückgelegt. Hätte ich einen sparsamen DiEsel in dieser Zeit gefahren mit 5 Litern / 100 km, dann wären das 3’593 Liter DiEsel gewesen (mehr als das Doppelte des Gewichts des PW übrigens).
    Nehmen wir an, irgendein schlecht gelaunter Autokrat hätte das Rohöl geliefert. Aus einem Barrel Rohöl entstehen ca. 21% Diesel (plus weitere Stoffe wie Benzin, etc.).
    Ein Barrel sind 159 Liter. 21% davon sind ca. ein Faktor 4.76. Damit ich zu meinen 3’593 Liter DiEsel gekommen wäre, hätte ich also 17’109 Liter Rohöl gebraucht. Das sind 107.6 Barrel.
    Der Barrel kostete in der Zeit von 2016 bis 2021 im Schnitt 57.70 $. Für diese Menge von 107.6 Barrel hätte ich also 107.6 mal 57.70$ = 6209$ zahlen dürfen.
    Ich bin sehr froh, dass diese Summe nicht aus meiner Brieftasche an Ex-KGB Agenten aus Dresden mit Verlustschmerzen oder andere „nette“ Zeitgenossen geflossen ist. 😎
    Und wenn ich im Winter dafür ein wenig länger Warten muss, bis der Akku voll oder die Reichweite etwas reduziert (übrigens meistens wegen der Winterreifen), dann leide ich nicht wirklich darunter.

    #stopburningstuff

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  2. Jürgen Baumann

    Ich bin jetzt seit 2016 elektrisch unterwegs und habe im Winter nie wirklich Probleme gehabt mit der Reichweite und der Ladeleistung. Und an der Vertreibung des Winters arbeiten ja alle, die noch einen Verbrenner oder PHEV fahren konsequent weiter 🙂

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  3. Kristin

    Spannend! Welche Optimierungen da in den nächsten Jahren noch bevorstehen, ich bin begeistert.

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