Frank Weber ist bei BMW als Entwicklungsvorstand für die kommenden Fahrzeuggenerationen verantwortlich. Als solcher ist er auch Vater einer Reihe von Elektromodellen, die ab 2025 als die sogenannte Neue Klasse auf den Markt kommen. Es ist das mit Abstand wichtigste Konzernprojekt der zurückliegenden zwei Jahrzehnte. Wir sprachen mit ihm über die neuen Autos, deren größte Wettbewerber – aber auch über die aktuelle Verunsicherung der Autokäufer und Fahrzeughersteller in Europa durch die Förderpolitik.

Herr Weber, nach einer frühen Investition in den Elektroantrieb und den i3 änderte BMW seine Elektroauto-Strategie. Bis heute verfügt der Konzern immer noch über keine Plattform für ausschließlich elektrisch angetriebene Autos. Die kommt erst mit der Neuen Klasse 2025. Warum so spät?

Wenn wir uns die Automobilindustrie ansehen, stellen wir fest, dass wir in sehr speziellen Zeiten leben. Zeiten, die so speziell sind, dass wir heute nicht nur nicht wissen, was in den nächsten drei Jahren passiert. Wir sind uns nicht einmal sicher, wie der Markt am Ende dieses Jahres aussehen wird. Fast alle Kunden, die derzeit zu unseren Händlern kommen, sind stark verunsichert. Selbst die so genannten „Early Adopters“ fragen sich, ob ein 100-prozentiges Elektroautos immer noch die richtige Lösung für sie ist. Einige Kunden treten deshalb einen Schritt zurück, verkaufen und ihre Elektroautos und tauschen sie gegen Plug-in Hybride, weil sie erkannt haben, dass die Ladeinfrastruktur noch Lücken hat und ihnen die gewachsene elektrische Reichweite der neuesten PHEV-Generation neue Möglichkeiten eröffnet. Wir sind deshalb sehr froh, mit unseren verschiedenen Antriebssträngen sehr flexibel aufgestellt zu sein.

Frank Weber vor der Vision Neue Klasse
Der 57-jährige Maschinenbau-Ingenieur ist seit Juli 2020 Entwicklungsvorstand der BMW AG. Seine Karriere in der Autoindustrie begann 1991 bei der Adam Opel AG, wo er zuletzt die Unternehmens- und Produktplanung leitete.

Hat BMW mit seinem Zickzack-Kurs nicht selbst die Käufer verunsichert?

Vor zwei Jahren hörte und las ich Kommentare, wonach die Leute erwarten, dass BMW sich früh auf Elektroautos mit eigenen Plattformen festlegt. Aber das ist nicht der Punkt.

Sondern?

Der Punkt ist, dass man zuerst einmal analysieren muss, ob die Voraussetzungen für diese „All-in“-Strategie bei Elektroautos schon gegeben sind. Gibt es ausreichend Ökostrom? Gibt es genügend nachhaltige Rohstoffe für die Produktion von Batterien und Elektromotoren? Wie sieht es mit einer Ladeinfrastruktur für alle aus? Und gibt es Recycling-Systeme für sämtliche Komponenten am Ende deren Lebensdauer? Die Antwort auf all diese Fragen lautet heute: „Nein“. Daher hat sich die von uns gewählte Multi-Energy-Strategie als die richtige erwiesen. Der Kunde kann sich für ein Modell entschieden – und dann erst den Antrieb wählen.

Wird sich diese Strategie mit der Ankunft der Neuen Klasse 2025 ändern?

Ja und nein. Ja, weil wir mit der Neuen Klasse beginnen werden, Elektroautos in großen Mengen zu produzieren. Und nein, weil wir auch weiterhin Benzin-, Diesel- und Plug-in-Hybridfahrzeuge anbieten werden. Unser Ziel ist es, weiterhin die besten Motoren in jeder Kategorie anzubieten. Das ist gut so. Denn auch nach 2035 wird es in vielen Regionen der Welt noch einen Markt für Autos mit Verbrennungsmotoren geben. Wir wollen nicht, dass nur unsere Autos mit Elektromotoren eine moderne Antriebstechnik haben und die Modelle mit Verbrennungsmotoren mit veralteter Technik fahren.

„Zuerst einmal muss man analysieren, ob die Voraussetzungen für eine „All-in“-Strategie bei Elektroautos schon gegeben sind. Gibt es ausreichend Ökostrom? Gibt es genügend nachhaltige Rohstoffe? Wie sieht es mit einer Ladeinfrastruktur für alle aus? Die Antwort auf all diese Fragen lautet heute: Nein.“

BMW wird also im Unterschied zu anderen Fahrzeugherstellern auch über das Jahr 2035 hinaus noch in neue Verbrenner investieren?

Auf jeden Fall. Wir werden weiterhin in Benzin-, Diesel- und Plug-in-Hybridmotoren investieren. Wir richten uns nicht allein an den neuen, nochmals strengeren Schadstoff-Grenzwerten in Europa aus. Wir schauen auf die Weltmärkte und die Bedürfnisse der Kunden dort.

Warum haben Sie uns eigentlich zuerst die Limousine der Neuen Klasse gezeigt und erst danach den allradgetriebenen Crossover Vision X, wenn letzterer zuerst auf den Markt kommt?

Wir haben diese beiden Archetypen zur gleichen Zeit fertiggestellt, und tatsächlich werden sie praktisch gleichzeitig auf den Markt kommen. Denn wir werden noch in diesem Jahr mit der Produktion der Vorserienfahrzeuge beginnen, ehe 2025 die Serienproduktion anläuft, zunächst in Ungarn, dann in München und anschließend im Rest der Welt. Die Entscheidung, mit dem Crossover zu beginnen, ist strategischer Natur: Die Hälfte des weltweiten BMW-Absatzes entfällt derzeit auf SUVs. In einigen Regionen machen die sogar bis zu zwei Drittel der Verkäufe aus. Aber beide Konzepte sind von unserem Slogan „the ultimate driving machine“ inspiriert. Der steht für unsere Absicht, unsere Elektroautos zu den am besten ihrer Art zu machen.

Produktion des i7 in Dingolfing 
"Mit der Neuen Klasse werden wir beginnen, Elektroautos in großen Mengen zu produzieren." Fotos: BMW
Produktion des i7 in Dingolfing
„Mit der Neuen Klasse werden wir beginnen, Elektroautos in großen Mengen zu produzieren.“ Fotos: BMW

Wir haben gehört, dass bei den Elektroautos von BMW M an jedem Rad ein Elektromotor sitzen wird. Können Sie das bestätigen?

Ja, der zukünftige elektrische M3 zum Beispiel wird ein solches Antriebskonzept haben. Mit den Beschleunigungs- und Rekuperationsfunktionen an jedem Rad und mit einer Gesamtleistung von fast einem Megawatt wird das Fahrzeug etwas ganz Besonderes sein. Selbst ich war überrascht, als ich die ersten Prototypen getestet habe. Unsere Ingenieure in der M-Division waren besorgt über diesen Übergang zur E-Mobilität.

Warum das?

Weil sie zum Beispiel befürchteten, sehr wichtige Elemente zu verlieren, die den Charakter unserer M-Fahrzeuge ausmachen. Inzwischen haben sie aber erkannt, dass es mit sehr präzisen und leistungsfähigen Steuergeräten möglich ist, die dynamischen Qualitäten unserer Elektroautos auf ein noch höheres Niveau zu heben als die unserer Verbrenner.

Tesla und die Newcomer aus China rauben Ihnen also nicht den Schlaf?

Bei BMW ist der Absatz von Elektroautos im vergangenen Jahr um 75 Prozent gewachsen. Wir sind heute Marktführer bei Premium-Elektroautos. Bei Tesla und den Chinesen zeigen die Preise, zu denen sie Elektroautos verkaufen, dass dies keine nachhaltigen Praktiken sind. Wir haben uns nicht auf diesen Preiskampf eingelassen und werden es auch nicht tun. Im Januar war der BMW i4 die meistverkaufte Elektro-Limousine auf dem deutschen Markt. Das zeigt, dass unsere Strategie richtig ist. Bei den anderen Marken werden die Folgen der zum Teil radikalen Preissenkungen schon bald in ihren Finanzberichten zeigen.

„Wir haben eine 50-prozentige Kostensenkung beim Elektroantrieb erreicht, was uns wettbewerbsfähige Preise ermöglicht.“

Werden Sie mit den geplanten Modellen der Neuen Klasse denn schon die gleichen Gewinnspannen einfahren wie mit ihren Verbrennern?

Ja, wir wollen da auf dem gleichen Niveau sein. Wir haben eine 50-prozentige Kostensenkung beim Elektroantrieb erreicht, was uns wettbewerbsfähige Preise ermöglicht. Aber natürlich sind die E-Autos immer noch teurer als vergleichbare Benziner oder Diesel. Aber dafür sind die Betriebskosten Kosten pro Kilometer bei einem Elektroauto viel niedriger. Und die haben schon den Diesel in Europa jahrzehntelang erfolgreich gemacht.

Die Energiepreise werden also über den Erfolg der E-Autos in Europa entscheiden?

Zweifellos. Der Faktor, der den größten Einfluss auf die Zunahme oder Abnahme des Marktanteils von Elektrofahrzeugen hat, ist der Preis von Benzin/Diesel. Es sind nicht die Umweltbelange, hängt auch nicht an den Rohstoffkosten oder an anderen Faktoren.

BMW i4 
"Der i4 muss mit einem Tesla Model 3 konkurrieren können, ein Dreier-BMW immer besser sein als ein Toyota Hybrid."
BMW i4
„Der i4 muss mit einem Tesla Model 3 konkurrieren können, ein Dreier-BMW immer besser sein als ein Toyota Hybrid.“

Wen sehen Sie derzeit als den größten Konkurrenten von BMW an?

Der Kunde vergleicht keine Unternehmen – er vergleicht direkt die Produkte. Das bedeutet, dass der BMW i4 mit einem Tesla Model 3 konkurrieren können muss. Und ein Dreier-Benziner muss immer besser sein als ein Toyota Hybrid und überlegen genug, um die höheren Preise für ein Premiumprodukt zu rechtfertigen. Das bedeutet, dass alles für uns in diesen neuen Zeiten noch komplexer wird.

Autos definieren sich heutzutage immer stärker über die Software, sie sind so etwas wie Großcomputer auf Rädern. Tesla war auf dem Gebiet lange führend. Werden die Modelle der Neuen Klasse auf das gleiche Niveau kommen?

Ja, das glaube ich. Und ich kann Ihnen sagen, dass wir neben Tesla der einzige Autohersteller der Welt sind, der eine Flotte von sechs Millionen Autos hat, die over-the-air aktualisiert werden können. Ich spreche nicht von Aktualisierungen der oberflächlichen Infotainment-Ebenen, die wir ebenfalls aktualisieren, sondern von Aktualisierungen zum Beispiel auch der Fahrerassistenzsysteme. Und wir haben noch nie den Produktionsstart eines neuen Modells aus Gründen verschoben, die mit der Software oder der Antriebsbatterie zusammenhängen. Einige unserer Wettbewerber können das nicht von sich behaupten.

Vielen Dank für das Gespräch!

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