Seit dem 17. Juni vergangenen Jahres ist David Sultzer, 47, Deutschland-Chef bei der chinesischen Aufsteiger-Marke NIO, die besonders mit ihren hochgerüsteten digitalen Lösungen und den schnellen Batterie-Wechselstationen auffällt. Die Absatzzahlen auf dem für NIO wichtigen deutschen Markt sind aber immer noch enttäuschend: Im abgelaufenen Jahr konnte die Marke hierzulande lediglich 398 Autos neu zulassen – 68,5 Prozent als im Jahr davor. Im Heimatland China hingegen legte der Autobauer im gleichen Zeitraum kräftig zu, verbuchte mit 221.970 Neuzulassungen ein kräftiges Plus von über 30 Prozent mehr im Heimatland. Das kann den Vertriebsexperten, der früher unter anderem für die auf VW-Produkte spezialisierte Gottfried-Schultz-Gruppe, den europäischen Remarketing-Spezialisten BCA und Genesis Motor Deutschland tätig war, nicht zufrieden stellen. Wie er die Trendwende herbeiführen will, erklärte er uns bei einem Treffen in Berlin.
Herr Sultzer, NIO hat gerade den zehnten Geburtstag des Unternehmens gefeiert, die weltweiten Absatzzahlen sind im Aufwind, und das neue Jahr hat gerade erst begonnen. Was haben Sie sich für 2025 auf dem deutschen Absatzmarkt vorgenommen?
Für uns wird 2025 ganz klar ein Konsolidierungsjahr. Wir wollen unseren Community-Ansatz forcieren, unser Power-Netzwerk und unsere Service-Center weiter ausbauen. Da kommen noch einmal alle unsere Prozesse auf den Prüfstand, damit wir dann die für 2026 erwartete Verbesserung der Marktlage für Elektroautos auch voll mitnehmen können.
Geht es vielleicht etwas konkreter? Zum Beispiel mit Zahlen zu den für 2025 geplanten Absätzen der NIO-Modelle?
Zum jetzigen Zeitpunkt nicht, auch wenn wir für alle unsere sechs Modellreihen eine große Erwartungshaltung beim Absatz haben. Zum Beispiel an den EL8, den wir erst im letzten Jahr eingeführt haben. Speziell bei den Subscription-Verkaufsmodellen, also unseren hochflexiblen Abonnement-Angeboten, wollen wir im Vergleich zu 2024 deutlich zulegen. Zudem werden wir die gewerblichen Kunden stärker in den Focus nehmen.
Können Sie das näher erläutern?
Speziell in der oberen Premium-Mittelklasse haben wir bereits einen gewerblichen Anteil, der zwischen 70 und 80 Prozent liegt. Und da streben wir noch mehr an.
Welches NIO-Modell verkauft sich denn am besten in Deutschland?
Momentan sind wir mit der ET7-Limousine sehr stark. Da haben wir einen sehr guten Absatz. Natürlich wollen wir diesen Spirit auch auf unsere anderen Modelle übertragen.
Wie viele dieser Batterie-Wechselstationen gibt es eigentlich inzwischen bei uns? Die sind ja quasi ein Markenzeichen und ein Alleinstellungsmerkmal von NIO.
Stand heute sind es 19. Wir haben 2024 immerhin 11 neue Stationen in Deutschland gebaut.
Welche neuen Standorte haben Sie 2025 für diese sogenannten „Power Swap Stations“ geplant? Und wie schnell kann dort die Batterie ausgetauscht werden? In Viernheim hat NIO im Oktober ja schon eine PSS 3.0 eröffnet, die den Wechsel der Batterie in nur drei Minuten schaffen soll.
Richtig, das geht extrem schnell. Wir haben für 2025 diverse neue Wechselstationen geplant, obwohl wir mit diesen 19 schon alle neuralgischen Verkehrspunkte in Deutschland abdecken und so auch sehr lange Strecken gefahren werden können. Wir werden auf alle Fälle ganz stark Hamburg forcieren, da wir dort bei der geplanten Umstellung der Taxis auf Elektrofahrzeuge hilfreich sein wollen. Dort wollen wir in diesem Jahr auf alle Fälle eine neue Power Swap-Station eröffnen.
Können Sie noch weitere geplante neue Standorte nennen?
In Sankt Augustin bei Bonn werden wir schon bald eine Station eröffnen, weitere sind im Bau, andere noch nicht spruchreif. Auch in Berlin, wo es derzeit die Wechselmöglichkeit in Spandau gibt, könnte sich schnell was ändern, weil wir auch in der Hauptstadt sehr viele Anfragen von Taxiunternehmen haben. Andererseits funktionieren lange Touren von Berlin aus schon jetzt bestens, denn wer zum Beispiel in den Süden Richtung Leipzig oder Dresden fährt, der findet in Schkeuditz und Schipkau Wechselstationen. Und in Richtung Westen offerieren sich Lehre oder Großburgwedel.
Wie hoch ist denn der prozentuale Anteil der Käufer, die ihre Batterie mieten („Batterie as a Service/BaaS“) und so jederzeit die Wechselstationen nutzen können?
Da liegen wir sehr hoch, nämlich bei ungefähr 80 Prozent. Die Leute haben einfach gemerkt, dass diese Miete alles viel einfacher und bequemer macht, sie durch die Nutzung der Batterie-Wechselstationen immer einen gut gefüllten Akku zur Verfügung haben. Das wird jetzt sehr gut angenommen.
Und wie groß ist der Anteil der Käufer, die ihr Auto bei ihnen komplett im All-inklusive-Abo ordern statt es klassisch kaufen? „NIO Subscription“ heißt das bei Ihnen.
An dieses Angebot mussten sich unsere User erst einmal gewöhnen, in den letzten zwei Jahren ist es aber sehr gut frequentiert worden. Wir bieten schließlich ganz verschiedene Modelle, die für jede Lebenssituation passen. Vom schnell kündbaren Abo für lediglich einen Monat bis hin zu Abos über vier Jahre. Und da sind ja zum Beispiel sämtliche Verschleißteile, die Versicherungen und die Nutzung der Batterie-Wechselstationen inklusive.
Und wie geht es eigentlich bei den „NIO-Häusern“ weiter? Nach Berlin, Frankfurt und Düsseldorf hat NIO im letzten Juni in Hamburg das vierte dieser Art eröffnet.
Gutes Stichwort, Hamburg ist nämlich das NIO Haus mit den meisten Besuchern, da kommen bis zu 8000 in der Woche. Im aktuellen Jahr 2025 kommt bei uns jedoch kein weiteres Haus hinzu, eigentlich fehlt auch nichts, denn wir haben ja nun noch zusätzlich drei NIO Hubs.
Die funktionieren im Unterschied zu den vorrangig Community-zentrierten NIO-Häusern nicht nur als Showroom, Veranstaltungszentren und Location für Verkaufsanbahnungen, richtig?
Hier haben wir jetzt beides kombiniert. Die Möglichkeit, alles über unsere tollen Fahrzeuge zu erfahren und dazu die hier direkt angebundenen Werkstätten. Dort können wir bis zu Lackierarbeiten oder speziellen Batteriechecks wirklich jeden Service und sämtliche Reparaturen erledigen. Und für den Reifenwechsel haben wir im letzten Jahr die Kooperation mit Vergölst geschlossen, die allein 150 Werkstätten umfasst.
Neuerdings setzen Sie zusätzlich auch auf autorisierte Service-Center, die von möglichst kompetenten Händlern betrieben werden sollen.
Ja, diese Händler werden von uns zertifiziert und aufwendig geschult. Da haben wir aktuell bereits 22 Partner im Boot und wir sind mit weiteren Kandidaten in Verhandlungen. Es gibt dafür sehr viele Anfragen von Händlern, die mit uns zusammenarbeiten möchten. Aber wir haben hier einen sehr hohen Premium-Anspruch, der Händler muss zu uns und unseren Usern passen. Erfreulicherweise haben wir so in Deutschland schon über 80 Prozent der Bereiche, die wir abdecken müssen, auch tatsächlich abgedeckt. Und dann haben wir ja noch unsere Mobile Techs.
Können Sie deren Funktion mal kurz erklären?
Gerne. Das sind Spezialisten mit mobilen Werkstätten, welche die Autos unsere Kunden dann direkt vor Ort betreuen können. Mittlerweile haben wir neun dieser Mobile Techs-Teams, die deutschlandweit verteilt sind und somit sehr schnell reagieren können. Übrigens lassen sich rund 50 Prozent aller Fehler und Pannen ohnehin remote, also per digitalem Ferneingriff „Over the Air“ lösen.
Themawechsel: Beim „NIO Day“ Ende September im chinesischen Guangzhou gab es die Weltpremiere der neuen Einstiegs-Marke Firefly und den Launch des Elektroflaggschiffs ET9. Die dort gezeigte kleine, extrem wendige Kompaktlimousine Firefly, die in München entwickelt wurde, soll ja auch auf den deutschen Markt kommen. Und Sie sind jetzt derjenige, der uns sagt, ab wann dieses nur vier Meter lange Glühwürmchen bei uns zu haben sein wird.
Der erste Part dazu wird natürlich in China stattfinden. Wir werden, so wie es aussieht, das Auto im zweiten Halbjahr dieses Jahres bekommen. Und hier diskutieren wir gegenwärtig nur noch, wie wir den Vertrieb dieses Modells am besten organisieren.
So ein Kleinwagen richtet sich an völlig andere Käuferschichten als die eher hochpreisigen NIO-Modelle.
Vollkommen richtig, das ist eine andere Klientel, das ist ja auch ein sehr urbanes Fahrzeug, das aber dennoch höchste Qualität bieten wird. Zum Vertrieb sind wir intern noch am diskutieren, deshalb kann ich noch nichts Konkretes dazu sagen.
Das Auto kann aber tatsächlich noch in diesem Jahr gekauft werden?
Ja, das ist richtig.
Und was wird der Firefly in Deutschland kosten? Das erfahren Sie hier im zweiten Teil des Interviews.