Klebrige 35 Grad Celsius noch am späten Abend, die Luft ist schwül in der alten Fabrikhalle des Berliner MotionLab. Gott, dazu noch Atemschutzmasken und harte Stühle auf Abstand. Aber den knapp hundert Fans aus der großen Sono Motors-Community, die sich hier versammelt haben, ist das offenbar ziemlich wurscht. Sie hoffen auf belebende, vor allem gute Nachrichten zum Elektroauto Sion, dass die meistens hier, so zeigt eine spontane Umfrage per Handzeichen, natürlich längst reserviert haben. Diesen immer noch erfrischenden, komplett von Solarzellen eingehüllten Fünfsitzer. Fahrbares bayrisches Privat-Kraftwerk. Das erste Auto, das sich selbst lädt. Erschwinglich, praktisch. So was von Öko. „Ich glaube an das Ding“, sagt mein Vordermann, ein lässiger Mittdreißiger in Shorts und T-Shirt. „Das muss jetzt endlich was werden.“

Und gegen alle bösen Gerüchte und schwierigen Umstände gibt es an diesem Abend zwar anfangs etwas unlustige Wahrheiten, dann aber tatsächlich den von allen erwarteten hoffnungsvollen Ausblick. Laurin Hahn, 26, einer der beiden Sono Motors-Chefs, der sich zur Feier des Tages in ein Sakko gequält hat (was er später schwitzend bereut: „Ihr wollt nicht wissen, wie es darunter aussieht“), erzählt zum Einstieg was über die grusligsten drei Corona-Monate nach der erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne, in denen die Zulieferer des Sion in Kurzarbeit erstarrten, Investoren trotz Vorverträgen von über 25 Millionen Euro ängstlich abtauchten („Die konnten ja nicht mal zu uns reisen“). Funkstille bei den Geldgebern. Kein Traffic auf der Website. Laurin: „Unser Umfeld war tot.“ Dazu verunsicherte Sion-Interessenten, die ihre Order stornierten. Rund hundert Bestellungen futsch.

Aha, schlaue Choreografie heute Abend: Das Schlimmste zuerst, und bloß keine Gaga-Sprüche. Unruhe und skeptische Mienen in den Reihen.

Weiter geht’s. Noch eine schwierige Nachricht. Genau, der Zeitplan. Denn eigentlich wollte Sono Motors mit seinem Elektroauto längst eine Runde weiter sein. In diesen Tagen sollten die neuen, viel seriennäheren Prototypen des Sion bereits zu diversen Testrunden starten. Diese Prototypen der zweiten, viel tolleren Generation namens SVC2 („State of Vehicle Construction“), die mit den noch etwas rumpligen Anfangsmodellen, deren Antriebsstrang noch vom elektrischen BMW i3 kam, nicht mehr viel zu tun haben. Nun sei für die Neuen, „wenn alles planmäßig verläuft“, ein Start im November geplant, ist zu hören. Auch seien nur noch zwei anstelle von vier Fahrzeugen geplant, erklärt Jona Christians, 27, zweiter Chef der Sono Motors-Truppe, „um hier die Kosten zu reduzieren“.

Eins nach dem anderen
Das Konzept des Sion könnte später auch auf andere Fahrzeugkategorien übertragen werden.

Was denn so ein Fahrzeug kosten würde, will Heiko aus dem Publikum wissen. „Rund 1,2 Millionen Euro“, haut Jona (hier duzen sich natürlich alle) ungeniert raus. Schluck, klare Ansage.

Ach ja, hören die Fans vom Podium, da war dann noch eine ärgerliche Falle. Denn plötzlich gab es keine Polymer-Kunststoffe mehr für alle Arbeiten mit der Solarzellen-Außenhaut (erklären wir gleich), weil das Zeug, Stichwort Corona, gerade überall für diese durchsichtigen Supermarkt-Schutzschilde und Aerolsole-Bremsvisiere gebraucht wurde. Dumm gelaufen.

200 Millionen bis zum Produktionsstart

Dann was zum Geld. Genau 16,3 Millionen Euro hätte man bisher ausgegeben, davon rund 7 Millionen für die Fahrzeugentwicklung. Nein, die Finanzierung sei noch nicht abgeschlossen, rund 200 Millionen Euro bräuchte man noch bis zum Start der Produktion. Darum, so Jonas, würde sich jetzt der neue Finanzchef Torsten Kiedel kümmern, der sich ja immerhin schon bei BMW, mytaxi und Flixbus gut ums Geld sorgte. „Bis zum Jahresende wollen wir noch 100 Millionen Euro eingesammelt haben, vielleicht ein wenig mehr“, hat Torsten, Stichwort zweite Finanzierungsrunde, dazu im letzten Monat gesagt. Die Stimmung bei den Investoren habe sich normalisiert. Jona hofft sogar auf staatliche Corona-Unterstützung vom Bund: „Dazu gibt es gerade Gespräche.“ Auch das inzwischen geplante Leasing von Werkzeugen und Robotern für die spätere Produktion werde ein paar finanzielle Vorteile bringen.

12.500 aktive Reservierungen

Jetzt könnte hier wirklich ein Tusch kommen, denn ab sofort versprühen die Jungs fast nur noch Optimismus und gute Nachrichten. Wie gestern und vorgestern bei ähnlichen Aufmunterungs-Veranstaltungen in Köln und Hamburg. „Wir können euch heute sagen, dass wir den Sion auf die Straße bringen“, hat Laurin da schon versprochen. Und wie heute lächelnd erwähnt, dass man trotz aller Widrigkeiten für den Sion inzwischen 12.500 aktive Reservierungen habe. Von Leuten, die eben mal je 500 Euro angezahlt haben. Und man freue sich, strahlt Laurin, für den Bau der Prototypen wieder den bayrischen Nachbarn Roding im Boot zu haben. Schließlich hätte die Firma ja schon die ersten beiden Exemplare gebaut. Die kompletten CAD-Daten (Computer Aided Design) mit allen Zuarbeiten der rund 100 Zulieferer seien im letzten Monat komplett übergeben worden. Abgehakt. Schon gehen hier ein paar Daumen hoch.

Und dann verrät Jona, der sich bei Sono Motors speziell um die Produktstrategie kümmert, das detaillierte Timing für die nächsten Monate. Ja, im November würden sofort die Fahrtests mit den beiden neuen Modellen beginnen. Und fürs erste Quartal des nächsten Jahres sei schon eine europäische Probefahrt-Tour geplant. „Da spielen wir dann den richtig großen Bass“, ruft er. „Klar Leute, auch in Berlin“ (auf die Frage von Rolf). Fröhlicher Beifall. Die Stimmung steigt. Später wird er noch rauslassen, dass für 2021 schon 30 weitere, quasi serienreife Prototypen (SVC3) geplant seien. Richtig, für Dauererprobungen, Chrashtests und die notwendigen Homologationsabnahmen, aber eben auch für tolle Events mit Probefahrten und so.

Im nächsten Teil erfahrt ihr, was unter der Haube des Sion steckt.

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