Am Anfang, so heißt es im Buch Genesis, war die Erde wüst und leer. Finsternis lag über der Urflut – licht wurde es erst später. Ganz so weit reicht die Schöpfungsgeschichte der gleichnamigen Automarke nicht zurück. Genesis entstand erst vor sieben Jahre in Südkorea. Es gab bereits Lichter am Himmelsgewölbe und auch schon einen festen Grund, auf dem allerlei Getier herumwimmelte. Die automobile Evolution war schon weit fortgeschritten. Und für Autos mit Verbrennungskraftmaschinen zeichnete sich da bereits die Vertreibung aus dem Paradies ab. Und eine neue, umweltfreundlichere Gattung schickte sich an, die Erde zu erobern – die Ära der Stromer hatte begonnen.
Bis zu 320 kW Antriebsleistung
Insofern war es sicher ein guter Zeitpunkt, um etwas ganz Neues zu starten, um aus einem Top-Modell eine komplett neue Marke zu schaffen. Aber es war auch ein ambitioniertes Projekt, das das Hyundai-Konzern im Jahr Ende 2015 startete. Denn mit Genesis wollen die Koreaner ganz oben angreifen – in Asien und Nordamerika gegen die Luxusmarken von Toyota (Lexus) und Nissan (Infiniti), in Europa aber auch gegen Audi, BMW, Mercedes. Mit einer komplett neuen Modellfamilie und einer intensiven Kundenbetreuung rund um die Uhr, die angeblich auch im Luxussegment ihresgleichen sucht.
Im vergangenen Jahr schickte die Hyundai-Tochter mit dem SUV GV80 und der Limousine G80 im ersten Schritt zwei konventionell angetriebene Luxusfahrzeuge ins Rennen – nun folgt mit dem GV60 der erste Vollstromer. Mit einer 800-Volt-Architektur und einer maximalen Ladeleistung von 240 kW, mit einem 77,5 kWh großen Akku und Allradantrieb – wahlweise mit einer Antriebsleistung von 234 kW (318 PS) oder 320 kW (436 PS). Auch die Spitzengeschwindigkeit von 235 km/h ist eine Ansage: Die Schwestermodelle Kia EV6 (aktuell maximal 239kW und 185 km/h) und Hyundai Ioniq 5 (max. 225 kW und 185 km/h) kommen da trotz identischer E-GMP-Basis nicht mit.
Konkurrenz für Audi e-tron und Tesla Model Y
Zu Hauptkonkurrenten haben die Strategen allerdings auch den Audi e-tron Sportback, den BMW iX3, den Mercedes EQC, den Polestar 2 sowie die gehobenen Versionen des Tesla Model Y erkoren. Ja, die trauen sich was. Aber hat das Fahrzeug auch das Zeug dazu, die Platzhirsche zu übertrumpfen? Eine Testfahrt mit der „Sport Plus“ getauften Topversion des GV 60 rund um den Feldberg im Taunus soll es klären.
Farblich sticht unser Testwagen in der Lackierung „Sao Paulo Lime“ (Aufpreis: 870 Euro) auf schon einmal aus der silbergrau-schwarzen Masse hervor. Und auch der Innenraum in „New Navy“-Blau mit grellgelben Applikationen zielt eindeutig auf ein jüngeres Publikum. Aber damit nicht genug: Ein echter Hingucker ist auch die so genannte „Crystal Sphere“ in der schwebenden Mittelkonsole. Wie war das noch in der Schöpfungsgeschichte? „Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht.“ Im GV 60 reicht dafür der Druck auf den Startknopf. Die planetenförmige Glaskugel erstrahlt dann erst – und dreht sich dann um eigene Achse, um die Schaltzentrale freizulegen. Wow!
Ja, es wird was geboten im Genesis GV 60. Für die Augen, für das Ohr (in Form mehrerer synthetischer Motorsounds und einer exzellenten Soundanlage von Bang & Olufsen mit 17 Lautsprechern, letzteres zum Aufpreis von 1170 Euro) – aber auch fürs „Popometer“: Der GV60 geht ab wie „Schmitz‘ Katze“, wie man im Rheinland sagt: Ein Tritt aufs Fahrpedal – und gefühlt ist im gleichen Augenblick das innerstädtische Tempolimit erreicht. Gemach, gemach – in Frankfurt und Umgebung wird bekanntlich mit der Radarpistole scharf geschossen. Die vier Sekunden, die es angeblich braucht, um den Wagen aus dem Stand auf Tempo 100 zu beschleunigen, sind nach den ersten Eindrücken ganz sicher keine Übertreibung.
Testverbrauch von 19,1 kWh/100 km
Eine feine Sache, so merken wir später auf der Landstraße, ist auch der Boost-Modus, der über eine kleine zitronengelbe Taste am Lenkrad aktiviert wird. Zehn Sekunden lang kann damit ähnlich wie in der Formel E eine zusätzliche Leistung von 20 kW abgerufen werden. Die zusätzliche Power macht Überholmanöver auf der Landstraße zur Sekundensache – auch wenn die Straße sich gerade den Berg hinaufwindet. Und das Erstaunliche dabei ist: Der Stromverbrauch schießt dabei nicht durch die Decke. Wir können es hier ja schon einmal vorwegnehmen: Die zweistündige Testfahrt endete mit einem Durchschnittsverbrauch von nur 19,1 kWh/100 Kilometer. Ähnliche Werte haben wir auch schon mit dem deutlich kleineren Renault Zoe erzielt. Und bei Testfahrten mit dem Mercedes EQC standen fast immer Verbrauchswerte über 25 kWh auf der Anzeige. Für ein Elektroauto mit einem Leergewicht von 2,1 Tonnen ist das jedenfalls ein sehr guter Wert – der sich bei zurückhaltender Fahrweise im Komfort- oder Eco-Modus sicherlich noch deutlich senken lässt. .
Und auch sonst gibt es nicht viel zu meckern. Das Platzangebot ist mehr als ordentlich, auch wenn die coupéhafte Dachlinie auf der hinteren, schon sehr tiefen Sitzbank einiges an Kopffreiheit kostet. Erst recht, wenn das Fahrzeug wie in unserem Fall mit einem Panoramadach (Aufpreis: 1320 Euro) ausgestattet ist. Ansonsten aber haben Genesis-Chefdesigner Luc Donckerwolke und sein Team ein sehr schönes Wohlfühl-Ambiente geschafften, das Lust auf längere Reisen macht: Immerhin soll der GV60 bis zu 470 Kilometer mit einer Akkuladung kommen, im Stadtverkehr sogar Reichweiten von über 620 Kilometern darstellen können. Wie realistisch das ist, muss ein späterer Test erweisen.
Viele Extras gegen Aufpreis
Sicherheitstechnisch ist der Genesis GV 60 auf der Höhe der Zeit. Es gibt schon serienmäßig jede Menge Heinzelmännchen an Bord, die den Fahrer im Alltagsverkehr unterstützen. Gegen Aufpreis kommt ein Head-up-Display hinzu, ein automatischer Einparkassistent und unter anderem ein aktiver Totwinkelassistent, der eine zusätzliche Kameraanzeige ins Cockpit zaubert, wenn der Blinker gesetzt wird. Die digitalen Außenspiegel, die ebenfalls als Extra angeboten werden und im Testwagen enthalten waren, sind allerdings etwas gewöhnungsbedürftig: Die beiden Monitore rechts und links, auf denen die Bilder der Außenkameras wiedergegeben werden, sind zwar besser positioniert als beispielsweise im Audi e-tron. Aber sie bringen nicht wirklich einen echten Mehrwert. Den Aufpreis dafür in Höhe von 1460 Euro kann man sich sparen.
Zumal der Genesis ohnehin kein Billigangebot ist: Der Einstiegspreis für den GV60 Sport Plus liegt bei 71.000 Euro, der Testwagen kamen auf einen Endpreis von 84.590 Euro inklusive Mehrwertsteuer. Umweltbonus und Innovationsprämie gibt es trotzdem: Mit einem Netto-Listenpreis von 59.672,27 Euro erfüllt der Stromer derzeit noch unter die aktuellen Förderrichtlinien, die am Jahresende auslaufen. Im kommenden Jahr soll nach der neuen Förderrichtlinie angeblich allein der Bruttopreis inklusive aller Extras gelten – der wäre dann der Genesis raus.
Lieferzeiten von sechs bis neun Monaten
Zum Marktstart am 7. Juni hat Genesis für Deutschland ein paar vorkonfigurierte Fahrzeuge bestellt, die sofort verfügbar wären. Wer bei der Bestellung im Internet oder in einem der neuen Genesis „Studios“ – zum Beispiel in München – Sonderwünsche äußert, muss sich gedulden und zahlt wahrscheinlich drauf: Die aktuellen Lieferzeiten belaufen sich derzeit auf sechs bis neun Monate.