Spätestens jetzt schrillen in Hannover die Alarmglocken. Denn der Kia PV5 dreht mal eben das gesamte Segment der Kleinbusse und Kastenwagen auf links und lässt etablierte Größen wie den VW e-Transporter, den Ford E-Transit Custom oder auch den Opel Zafira Electric plötzlich sehr alt aussehen. Warum? Weil die Koreaner es können. Und vor allem: Weil sie es wollen. Im Segment der elektrischen Kleinbusse und der leichten Nutzfahrzeuge winken weiterhin Profite. Deshalb nimmt die Zahl der ambitionierten Hersteller, die ihre „Blaumann“-Stromer anbieten, stetig zu. Ein Newcomer ist beispielsweise der Maxus eDeliver 7 aus China. Und mit Flynt – ebenfalls aus China – will sich ein weiterer Neuling ab kommendem Jahr in Europa Marktanteile erkämpfen. Die Kuchenstücke werden also kleiner.

Gegenverkehr
Etablierte Größen wie den VW e-Transporter, den Ford E-Transit Custom oder auch den Opel Zafira Electric lässt der Kia alt aussehen.
Gegenverkehr
Etablierte Größen wie den VW e-Transporter, den Ford E-Transit Custom oder auch den Opel Zafira Electric lässt der Kia alt aussehen.

Dem Kia PV5 fehlt naturgemäß der Retro-Charme des VW ID. Buzz, dessen Design an die ersten Transporter von Volkswagen aus den 1950er Jahren erinnern soll. Um etwas dagegen setzen zu können und aus dieser Masse herauszustechen, muss man schon etwas Besonderes bieten. Genau das schafft Kia mit dem PV5 – ohne sich zu verkünsteln: 4,70 Meter Länge, knapp drei Meter Radstand, Frontantrieb und zunächst zwei Batteriegrößen – fertig. Keine überbordende Angebotsvielfalt, sondern klar auf den Punkt.

Zwei Akku-Größen und zwei Antriebsstärken

Das bedeutet eine Batterie mit 51,5 kWh oder 71,2 kWh Speicherkapazität (beide NMC-Akkus). Später kommen bei der Cargo-Version LFP-Energiespeicher mit 43,3 kWh Kapazität hinzu. Dieses Modell ist allein für den Stadteinsatz gedacht. Auch bei der Leistung beschränken sich die Koreaner auf das Wesentliche: Der Kunde hat die Wahl zwischen einer Antriebsleistung von 89 kW (122 PS) oder 120 kW (163 PS), beide E-Maschinen verfügen über ein maximales Drehmoment von 250 Newtonmeter.

Ganz locker
Mit dem Kia PV5 bewegt sich unser Autor wieselflink durch den Großstadtverkehr in Seoul. Das große Navi-Display hilft bei der Orientierung, eine Armada von Assistenzsysteme beim Fahren und Rangieren. Bilder: Kia
Ganz locker
Mit dem Kia PV5 bewegt sich unser Autor wieselflink durch den Großstadtverkehr in Seoul. Das große Navi-Display hilft bei der Orientierung, eine Armada von Assistenzsysteme beim Fahren und Rangieren. Bilder: Kia

Wir fahren die stärkere Passenger-Version mit großem Akku. Dieser beschleunigt von Null auf 100 km/h in 10,6 Sekunden und verfügt über eine Spitzengeschwindigkeit von 135 km/h. Das ist ausreichend für einen Kleintransporter, denn eine höhere Geschwindigkeit würde die Batterie zu schnell leersaugen. Die Reichweite beträgt bei der großen Batterie bis zu 412 Kilometer in der Passenger-Version. Die Cargo-Variante kommt vier Kilometer weiter.

Schwache Ladeleistung – großes Stauvolumen

Apropos: Beim PV5 setzt Kia auf die 400-Volt Technik und kommt daher nur auf eine DC-Ladeleistung von 150 kW. Damit sind die Akkus in einer halben Stunde von zehn auf 80 Prozent gefüllt. Für die Cargo-Variante, die wohl meistens über Nacht im Depot Strom tankt, ist das sicher ausreichend. Bei der Shuttle-Version würde man sich kürzere Ladezeiten am Schnelllader wünschen. An der Wallbox daheim oder im Betrieb braucht der Kia PV5 mit 11 kW bis zu 6:30 Stunden, um den Akku auf 100 Prozent zu laden – irgendwann in der Nacht ist er also wieder voll.

Frontlader 
In der Frontschürze des PV5 hat Kia den Ladeport untergebracht. Das ist praktisch. Die maximale Ladeleistung beträgt aber nur 150 kW.
Frontlader
In der Frontschürze des PV5 hat Kia den Ladeport untergebracht. Das ist praktisch. Die maximale Ladeleistung beträgt aber nur 150 kW.

Der vielseitige Stromer steht auf der eigens entwickelten E-GMP.S-Plattform, die verschiedene Aufbauten ermöglicht. Angefangen vom klassischen Pritschenwagen bis hin zum Kasten mit 4,4 Kubikmetern Laderaum inklusive Kühlaggregat. Oder eben einem Passagiertransporter, der bis zu sieben Menschen transportieren kann. Bei der fünfsitzigen Version passen 1.330 Liter in den Laderaum. Klappt man die zweite Sitzreihe um und packt den PV5 bis unters Dach voll, steigt das Ladevolumen auf 3.615 Liter. Die Koreaner haben bei der Konkurrenz genau hingeschaut und machen viel richtig. Allerdings ist die Anhängelast mit 750 Kilogramm (bei 51,5 kWh-Akku) beziehungsweise 1.500 kg (71,2 kWh) und die Zuladung von 535 sowie 455 Kilogramm bei der getesteten Passenger-Version nicht überragend.

Flottengeschäft im Visier

Vorne sitzt man wie auf einer Konfirmandenbank – mit kurzer Beinauflage und wenig Seitenhalt. Das ist aber genau so gewollt und freut Paketboten. Wer täglich aus dem Auto rein- und rausspringt, braucht definitiv keinen tiefen Sportsitz. Schmale A-Säulen, eine niedrige Schulterlinie und viel Glas erleichtern die Übersicht und das Wieseln durch den hektischen Stadtverkehr. Der flache Boden der Elektroarchitektur und die Innenraumbreite von 1,73 Metern helfen, wenn zwei Personen vorne unterwegs sind.

Pkw-Welt
Das Cockpit mit dem 7,5-Zoll-Kombiinstrument hinter dem Lenkrad und dem 12,9-Zoll-Touchscreenüber der Mittelkonsole  gleicht dem eines Elektro-Pkw und lässt sich ebenso einfach bedienen. Die Beinauflage der Vordersitze ist kurz geraten, der Seitenhalt nur gering.
Pkw-Welt
Das Cockpit mit dem 7,5-Zoll-Kombiinstrument hinter dem Lenkrad und dem 12,9-Zoll-Touchscreenüber der Mittelkonsole gleicht dem eines Elektro-Pkw und lässt sich ebenso einfach bedienen. Die Beinauflage der Vordersitze ist kurz geraten, der Seitenhalt nur gering.

Das Cockpit lebt vom Stauraum: Fächer in Türen und Mittelkonsole, dazu kleine im Boden eingelassene Boxen. Die Oberflächen sind robust, aus Hartplastik, also gut zu reinigen. Ein Frunk fürs Ladekabel fehlt – auch der Kia PV5 ist nicht vollkommen. Für die zweite Reihe gibt es eine Fußauflage. Verschiedene Sitzkonfigurationen sind möglich: klassisch 2–3 (fünfsitzig) oder 2–2–3 (siebensitzig). Zwei Schiebetüren erleichtern den Zugang, und für Rollstuhlfahrer bietet Kia eine seitliche Rampe, sodass sie vom Bürgersteig aus einsteigen können. Im nächsten Jahr folgen ein Crew-Van sowie die Basisversion Cargo Standard. Und 2027 soll eine Hochdachversion die Modellpalette ergänzen.

Software offen für maßgeschneiderte Lösungen

Das Cockpit mit dem 7,5-Zoll-Kombiinstrument und dem 12,9-Zoll-Touchscreen gleicht dem eines Pkw und lässt sich ebenso einfach bedienen. Ein feines, aber wichtiges Detail: Kia nutzt nicht einfach gewöhnliche Pkw-Software, sondern ein Android-Automotive-basiertes Betriebssystem. Das lässt betriebsspezifische Apps zu – etwa maßgeschneiderte Software zur Steuerung einer Flotte oder von Zustelldiensten. Updates kommen per OTA-Update (Over-the-Air), der Digitalschlüssel wandert auf das Smartphone. Praktisch im Arbeitsalltag sind die Vehicle-to-Load-Funktion (V2L, 3,6 kW) – für die Baustelle und den Grillabend – sowie die Rundumsichtkamera.

Einladend 
Zwei Schiebetüren erleichtern den Zugang zum großzügigen Innenraum der Passenger-Version. Für Rollstuhlfahrer bietet Kia gegen Aufpreis eine seitliche Rampe, so dass sie vom Bürgersteig aus hineinrollen können.
Einladend
Zwei Schiebetüren erleichtern den Zugang zum großzügigen Innenraum der Passenger-Version. Für Rollstuhlfahrer bietet Kia gegen Aufpreis eine seitliche Rampe, so dass sie vom Bürgersteig aus hineinrollen können.

Auf der Straße setzt sich das Pkw-Gefühl fort. 120 kW Antriebsleistung und Frontantrieb verheißen keine Heldentaten. Sie reichen aber locker aus, um überall mitzuhalten. Drei Rekuperationsstufen plus das von uns bevorzugte Segeln lassen sich über die Wippen am Lenkrad dosieren. Im Stop-and-Go-Verkehr funktioniert das One-Pedal-Fahren problemlos. Die Federung ist eher komfortorientiert und filtert Querfugen ordentlich weg, lässt den Aufbau aber nachwippen. Das könnte sich ändern, wenn der Kleinbus voll besetzt ist. Bei unserer Testfahrt kamen wir auf einen Durchschnittsverbrauch von 18,9 kWh/100 km und unterboten die Werksangabe somit um 0,4 kWh/100 km.

Kampfpreise ab 38.290 Euro aufwärts

Das alles gibt es ab November zu einem Kampfpreis, der die Konkurrenten schon ins Grübeln bringen könnte. Den Kia PV5 Passenger gibt es ab 38.290 Euro, den Cargo in der dreitürigen Version ab 39.190 Euro – beide mit der 51,5-kWh-Batterie und der kleinen Maschine. Mit großem Akku und stärkerem Antrieb liegt der Cargo bei 43.805 Euro und der Passenger bei 42.290 Euro – in Topausstattung 48.800 Euro. Als wäre das nicht genug, legt der koreanische Autobauer noch sieben Jahre Herstellergarantie (bis 150.000 km) und acht Jahre Garantie auf die Hochvoltbatterie (bis 160.000 km) drauf. Als wollten sie in Seoul sagen: „Nehmt das, ihr Platzhirsche!“

Aufgeräumt
Der Laderaum des Kia PV5 Cargo fasst 4,4 Kubikmeter - etwas weniger als im VW Bulli (5,8 m³), die Heckpforten klappen weit auf.
Aufgeräumt
Der Laderaum des Kia PV5 Cargo fasst 4,4 Kubikmeter – etwas weniger als im VW Bulli (5,8 m³), die Heckpforten klappen weit auf.

Die haben an dem Thronräuber sicher schwer zu knabbern. Denn der Kia PV5 Passenger (71,2 kWh) unterbietet den Ford E-Transit Custom (68 kWh netto) als Kombi-Pkw aktuell um circa 17.000 Euro, den VW E-Transporter Kombi (63,8-kWh-Akku netto) um rund 20.000 Euro und den Opel Zafira Electric (75 kWh) um 11.000 Euro. Selbst der Maxus eDeliver 5, vollverglast (L2H1), kostet mindestens 48.778 Euro und hat auch nur eine 64-kWh-Batterie an Bord.

Für Shuttle-Dienste und Logistiker, die mit jedem Cent kalkulieren, ist dieser Preisvorteil fast schon ein K.o.-Argument. Und damit nicht genug: Die größeren Modelle PV7 und PV9 sind bereits in Vorbereitung. Und Kia denkt auch schon über einen PV3 sowie einen PV1 nach: Da kommt Bewegung in den Markt.

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