Wer in diesen Tagen auf Teslas Großbaustelle in Grünheide vorbeischaut, erlebt exakt wie in den Monaten zuvor extreme Betriebssamkeit. Dutzende Kräne drehen sich, unentwegt rollen von der nahegelegenen Autobahn große Lastzüge mit neuen Containern und Materialkisten aufs Areal. Und überall wuseln zahllose Bauarbeiter. Die großen Hallen der zukünftigen Autofabrik wirken zunehmend komplettiert, einige erste SUVs der Model Y-Baureihe wurden auch bereits im Testlauf produziert.

Aber noch immer fehlt die endgültige Betriebserlaubnis für die neue Gigafactory in Brandenburg. Mal abgesehen von der Genehmigung für paar Vorserienautos und der Erlaubnis „zur Fortsetzung der Erprobung der Betriebstüchtigkeit“ von diversen Anlagen. Der US-Autobauer habe noch nicht alle angeforderten Unterlagen bei den zuständigen Behörden eingereicht, hat dazu Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) vor einigen Tagen auf eine Anfrage des Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb) gesagt. Und versprochen, das sich das dem Ministerium unterstellte Landesumweltamt weiter intensiv mit dem Verfahren beschäftigen werde. „Um das rechtssicher auch verwirklichen zu können, ist es eben auch erforderlich, dass entsprechende Gutachten vorliegen und es ist bedauerlicherweise so, dass noch nicht alle Gutachten in dieser Qualität vorliegen“, kommentierte Vogel.

Giga-Party in Grünheide
Im Rahmen eines Volksfests präsentierte Tesla im Oktober seine neue Gigafactory in Grünheide bei Berlin der Öffentlichkeit. Rund 9000 Menschen kamen, um das Werk zu besichtigen, Riesenrad zu fahren - und Tesla-Chef Elon Musk live zu erleben. Foto: Tesla
Giga-Party in Grünheide
Im Rahmen eines Volksfests präsentierte Tesla im Oktober seine neue Gigafactory in Grünheide bei Berlin der Öffentlichkeit. Rund 9000 Menschen kamen, um das Werk zu besichtigen, Riesenrad zu fahren – und Tesla-Chef Elon Musk live zu erleben. Foto: Tesla

Er könne auch nicht beurteilen, wie schnell diese Informationen jetzt gegeben würden. Und deshalb keine Prognose abgeben, zu welchem Zeitpunkt sie dann abschließend geprüft seien. Diesen Umstand bekräftigte gegenüber EDISON jetzt Pressesprecherin Frauke Zelt: „Die Prüfungen zum Genehmigungsantrag laufen noch.“ Bei der Genehmigungsbehörde gingen derzeit noch „erforderliche Stellungnahmen der beteiligten Behörden sowie weitere Unterlagen, unter anderem vom Vorhabenträger“ – gemeint ist Tesla – ein.

Letzte Einwendungen werden noch ausgewertet

Andererseits, so erfuhr EDISON inzwischen, sind die letzten Online-Konsultationen, in denen die „entscheidungserheblichen Einwendungen“ gegen das Projekt und die dazugehörigen Stellungnahmen der Behörden koordiniert sind, im Ministerium noch immer nicht komplett ausgewertet. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erwartet die endgültige Genemigung für die Fabrik nun Anfang kommenden Jahres: „Ich weiß jetzt nicht genau an welchem Wochentag – aber es ist absehbar: Anfang des Jahres wird es wahrscheinlich sein.“

Dabei sollte die Produktion in Grünheide mit dem Model Y ursprünglich im bereits im Juli 2021 starten. Aber schon im Frühjahr hatte Tesla den Produktionsstart in Richtung Jahresende – und jetzt kommentarlos ins neue Jahr verschoben. Gründe für die Verzögerungen gab es viele: neue Pläne und Planergänzungen von Tesla, entsprechend neue Fragen der Behörden und diverse bremsende Proteste von Umweltschützern. Denn obwohl Musk für Grünheide „die umweltfreundlichste Fabrik der Welt“ versprach, haben Umweltverbände mehrfach versucht, die vorzeitigen Detailgenehmigungen zu kippen.

Sie befürchten durch den Wasserverbrauch des Automobilwerks unter anderem Probleme bei der regionalen Trinkwasserversorgung, obwohl Tesla die bisherigen Angaben für den Jahresverbrauch um rund 30 Prozent auf 1,4 Millionen Kubikmeter gesenkt hat. Deutlich weniger als ursprünglich geplant und in Relation viel weniger als die anderen großen Industrien in der Region so schlucken. Die Ölraffinerie PCK in Schwedt etwa braucht jährlich 20 Millionen Kubikmeter Wasser und der Braunkohlenkonzern LEAG in der Lausitz sogar rund 100 Millionen Kubikmeter.

Tesla nimmt die Verzögerungen gelassen

Kritisiert und angefochten wurden auch die Abholzung des von vornherein als Nutzwald angelegten Kiefernwaldes (obwohl Tesla bereits eine dreifache Fläche mit Mischwald aufforstet), der zunehmende Verkehr (obwohl Tesla sich inzwischen eine eigene Autobahnabfahrt gebaut hat) sowie die Verwendung von Brandenburger Kohlestrom (obwohl die riesigen Hallendächer in Grünheide mit Solarpanelen bestückt werden sollen). Schon dadurch wurden die Bauarbeiten in Grünheide wiederholt unterbrochen.

Trotz allem entsteht jetzt der Eindruck, dass diese aktuelle Warteschleife des gigantischen Projekts für Tesla kein wirklicher Grund zur Aufregung ist. Vermutlich ist es sogar ein willkommene Atempause. Was offenbar auch damit zu tun hat, dass Tesla wie fast alle großen Automobilhersteller massiv vom weltweiten Chip-Mangel betroffen ist. Bereits im August hatte Elon Musk diesen Missstand heftig kritisiert: „Wir arbeiten unter extremen Lieferketten-Problemen, speziell was die Standard-Chips der Automobiltechnik betrifft.“

Andere Autohersteller brauchten länger

Für übertriebene Pünktlichkeit ist Tesla sowieso nicht bekannt. Bisher starteten fast alle aufregenden Projekte, die Elon Musk in den letzten Jahren mit viel Alarm ankündigte (inklusive der dramatischen SpaceX-Raketenpläne) mit einiger Verspätung und nicht gleich perfekt. Dann aber fast immer gewaltig. Ach ja, und die Gigafactory 3, die im chinesischen Shanghai bereits nach einem Jahr Bauzeit die ersten Autos produzierte (in für Tesla-Verhältnisse ungewohnt hoher Qualität), ist für Grünheide ohnehin kein Maßstab, denn die lokalen Behörden in China räumen bei solchen Großinvestionen in Nullkommanichts sämtliche Steine aus dem Weg.

Ab 2022 auch aus Grünheide 
Neben dem Model Y soll im neuen Werk in Brandenburg später auch das Model 3 gefertigt werden - und ein "Compact Vehicle".
Ab 2022 auch aus Grünheide
Neben dem Model Y soll im neuen Werk in Brandenburg später auch das Model 3 gefertigt werden – und ein „Compact Vehicle“.

Auch bei sich hier hübsch anbietenden deutsch-deutschen Vergleichen kommt Grünheide definitiv super weg. Beispiele? BMW hat in Leipzig für seine Pkw-Fabrik, die auch Elektroautos produziert, immerhin rund drei Jahre gebraucht, bis sie endlich am 13. Mai 2005 eröffnet werden konnte. Und Porsche benötigt nur für die Umstellung des Werks Leipzig auf den vollelektrischen Mittelklasse-SUV Macan fast vier Jahre: Der Startschuss in Sachsen fiel im März 2019 – und erst Anfang 2023 sollen die ersten E-Modelle des Macan ausgeliefert werden.

Erst 2000 Mitarbeiter sind an Bord

Ganz abgesehen davon, dass Tesla in Grünheide auf dem 300 Hektar großen Fabrikgelände in viel größeren Dimensionen plant. Allein in der ersten Ausbaustufe sollen hier bis zu 12.000 Beschäftigte (ohne Batterieproduktion) im vollen Dreischichtbetrieb mal bis zu 500.000 Fahrzeuge pro Jahr bauen. Aktuell sind aber noch nicht einmal 2000 Mitarbeiter in Grünheide für die Produktion an Bord, obwohl auf der riesigen Baustelle derzeit täglich bis zu 3500 Personen arbeiten.

Im ersten Halbjahr 2022 sollen wohl mindestens 30.000 Exemplare des Model Y das Brandenburger Werk verlassen. Später wird hier auf den Bändern noch zusätzlich die Model 3-Limousine folgen. „Die Gigafactory Berlin-Brandenburg ist unsere modernste, nachhaltigste und effizienteste Produktionsstätte“, wirbt Tesla deshalb jetzt permanent um die dringend benötigten Arbeitskräfte. Und verspricht „großzügige Zusatzleistungen, wettbewerbsfähige Vergütungen und Schulungen am Arbeitsplatz.“

Neues Kompakt-Elektroauto aus Grünheide

Die Langfristplanung dürfte da noch einiges drauflegen. Nach Schätzung von Experten könnten nämlich mit über 20.000 Mitarbeitern in einer Jahresproduktion bis zu zwei Millionen Fahrzeuge entstehen. Denn auch die Grünheider Modellpalette wird sich noch einmal erweitern. So soll auch der künftige europäische Einstiegs-Tesla, der als „Compact Vehicle“ (Zitat Musk) mit einer Länge von rund 4,30 Metern (Model 3: 4,69 Meter) mehr für die Stadt gedacht ist, aus dem neuen Werk kommen. Voraussichtlich schon zum Modelljahr 2024. Und weil im Kleinen dann eine Lithium-Eisenphosphat-Batterie kostengünstig als tragendes Mittelbauteil konzipiert ist und viele Model 3-Teile verwendbar sind, soll der Kaufpreis dieses Autos unter 25.000 Euro liegen.

Model Y "made in Germany" 
Bei einem Überflug des Werksgeländes wurden vier Exemplare des Model Y gesichtet. Es sind vermutlich die ersten E-Autos, die in Grünheide entstanden. Foto: Youtube/flybrandenburg
Model Y „made in Germany“
Bei einem Überflug des Werksgeländes wurden vier Exemplare des Model Y gesichtet. Es sind vermutlich die ersten E-Autos, die in Grünheide entstanden. Foto: Youtube/flybrandenburg

Und dann wäre da ja noch die geplante Batterie- und Recyclingfabrik, die in Grünheide direkt ans Automobilwerk angedockt wird. Laut Tesla soll sie mal die Größte der Welt sein mit dem Ausstoß von Millionen von Batteriezellen. Erste, große Rohbauten dafür entstehen bereits. Und dieses Thema ist besonders interessant: Denn für das Großvorhaben, das mindestens 2000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen soll, hat der US-amerikanische Elektroauto-Hersteller, obwohl Bund und Europäische Kommission grünes Licht gaben, auf eine mögliche staatliche Förderung von mehr als 1,135 Milliarden Euro verzichtet. Ein entsprechender Antrag für ein IPCEI (transnationales Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse) wurde von Tesla ohne Begründung überraschend zurückgezogen.

„Lasst uns alle Subventionen abschaffen“

Natürlich nicht ohne Grund, denn anscheinend befürchtet Musk, dass Tesla in diesem Fall zu viele Abläufe der brisanten Zell-Produktion offenlegen müsste. Denn Tesla wird in Grünheide schon die schon erwähnten zukunftsträchtigen Lithium-Eisenphosphat-Zellen produzieren, die eine viel längere Haltbarkeit und extreme Funktionssicherheit versprechen – bei viel niedrigeren Produktionskosten. Details behält der Tesla-Chef da lieber für sich. Schließlich müssen Unternehmen, die in den Genuss der Förderung kommen, ihre Erkenntnisse teilen, die sie dank staatlicher Hilfe gewinnen.

Tesla Cybertruck Tesla-Chef Elon Musk hat massive Probleme mit dem Elektro-Pickup. Der Verkaufsstart wurde jetzt erst einmal verschoben. Elektroauto

Andererseits: Tesla gehörte in den letzten Jahren ohnehin zu den Unternehmen, die derartigen Subventionen zunehmend skeptisch gegenüberstanden. Das Unternehmen hat da kaum noch direkte staatliche Hilfen in Anspruch genommen. „Lasst uns alle Subventionen abschaffen“, hat Elon Musk sogar kürzlich mit Blick auf die von US-Präsident Joe Biden geplanten Steuererleichterungen für Elektrofahrzeuge gefordert. Die würden den technologischen Fortschritt eher behindern und den Wettbewerb verzerren. Der Staat würde sich in solchen Fällen nur zu sehr in den Markt einmischen. Er solle lieber wie ein Schiedsrichter agieren, „und nicht wie ein Spieler auf dem Feld“.

An ein Horror-Szenario glaubt keiner in Brandenburg

Gutes Stichwort, denn von der Schiedsrichterleistung der deutschen Verantwortlichen war Musk in letzter Zeit gar nicht so begeistert. Kritisiert wurden von ihm umständliche Prozesse, zu komplexe Auflagen und überhaupt die deutsche Bürokratie. Die langwierigen schleppenden Genehmigungsverfahren in der Bundesrepublik stünden „im direkten Gegensatz zu der für die Bekämpfung des Klimawandels notwendigen Dringlichkeit.“ Vorschriften müssten ein Verfallsdatum haben. Da würde sich ja über die Jahre immer mehr ansammeln. Man sollte Vorschriften nach einer gewissen Zeit wieder abschaffen, findet der Tesla-Chef. „Sonst darf man irgendwann gar nichts mehr.“

Klar, bislang ging der Bau seiner Autofabrik ja nur aufgrund von immer neuen vorläufigen Zwischengenehmigungen und Einzelerlaubnissen voran, so dass Tesla für das gesamte Projekt nach wie vor ein gewisses Grundrisiko hat, sollte hier eine endgültige Genehmigung verweigert werden. Von so einem Horror-Szenario geht in Brandenburg natürlich niemand mehr aus, aber ein schlichter Zeitplan für den Genehmigungs-Countdown ist längst überfällig.

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