Am Pkw-Geschäft können die Ford Werke derzeit nicht viel Freude haben. Die Produktion des kleinen Fiesta in Köln ist ebenso ausgelaufen wie die des Mittelklassemodells Mondeo in Valancia, zudem ist das Ende der Produktion des Focus in Saarlouis absehbar. Und weil sich der Produktionsstart des vollelektrischen Explorer um ein Jahr verzögert hat, stützt sich der Verkauf derzeit im wesentlichen nur auf den Puma und den Kuga – sowie das Importmodell Mustang aus den USA. Die Folge: Im Pkw-Geschäft beträgt in Deutschland gerade einmal noch 3,5 Prozent. 2017 waren es noch fast acht Prozent – 1965 sogar noch 18,5 Prozent. Lang, lang ist’s her.
Richtig Freude bereitet dem US-Konzern in Deutschland und Europa derzeit nur das Geschäft mit leichten Nutzfahrzeugen. Bis Ende März erreichte die auf Transporter spezialisierte Geschäftseinheit Ford Pro einen Marktanteil von 14,4 Prozent, im März wurde mit 16,5 Prozent sogar ein neuer Rekordwert erzielt. Und die Tendenz zeigt nach oben. Der große Zweitonner Transit verkauft sich bestens, ist seit acht Jahren Europas meistverkaufter Kastenwagen.
Noch mehr Hoffnung setzt Claudia Vogt, die Chefin von Ford Pro in Deutschland, aber auf den kleineren Eintonner Transit Custom – der als Tourneo auch als Großraumlimousine angeboten wird. Und der eine wie der andere nunmehr auch mit Elektroantrieb. Mit bis zu 337 Kilometer Reichweite bietet der Stromer zu Preisen ab 57.903 Euro kleineren und mittleren Unternehmen eine Alternative zum Mercedes eVito (ab 49.440 Euro), dem Opel Vivaro Electric (ab 39.500 Euro) oder auch dem VW ID. Buzz Cargo (ab 57.375 Euro).
„In Europa gibt es mittlerweile 400 Umweltzonen und stetig werden es mehr“, skizzierte Vogt die Rahmenbedingungen, die es Bäckern oder Heizungsbauern in den Städten immer schwerer machen, mit konventionell angetriebenen Fahrzeugen zu ihren Filialen oder Einsatzorten zu kommen. Der wendige, wartungsarme wie vielseitig ausbaubare Ford Transit Custom weise da einen Ausweg aus den Nöten.
Über 300 Kilometer Reichweite
Zumal es Ford nicht nur bei der Lieferung des Fahrzeugs belässt, sondern mit Ford Pro Telematics auch eine Software-Lösungen für die Steuerung und Kontrolle der Fahrzeugflotte anbietet. Ein im Auto festverbautes 5G-Modem macht’s möglich. Und auch den Aufbau von Lademöglichkeiten auf dem Betriebsgelände und/oder bei den Mitarbeitern organisiert das Unternehmen mit Unterstützung von zertifizierten Partnerbetrieben. Auf diese Weise kann ein intelligentes Ökosystem rund um den Elektro-Transporter aufgebaut werden.
Aber auch dem Fahrzeug selbst fehlt es an nichts, wie wir bei einer Einsatzfahrt für einen Bäckereibetrieb und die Frankfurter Tafel feststellen konnten. Dafür gewählt hatten wir einen wasserblauen Transit Custom in Kurzversion und im „Sport“-Trim mit einer Antriebsleistung von 160 kW oder 218 PS – was man im Stadtverkehr für Schnelltransporte so braucht. Der 64 kWh fassende Akku soll in der Konstellation für 308 Kilometer Reichweite gut sein – nach den Verbrauchswerten, die der Bordcomputer am Ende der Tour zeigte, wären wir sogar noch ein paar Kilometer weiter gekommen.
Komfortabler Arbeitsplatz mit Exit-Warner
Und das völlig entspannt. Nicht nur, weil der Akku unterwegs am Schnelllader mit ordentlichen 125 kW nachgeladen werden könnte. Innernhalb von fünf Minuten werden, wenn ein unerwarteter Auftrag hereinkommt, so 38 Kilometer Reichweite hinzugewonnen. Auch der Fahrkomfort ist für einen Transporter erstaunlich hoch – da haben die Fahrwerksingenieure von Ford wieder einmal einen guten Job gemacht. Und auch wenn der Fahrerraum natürlich komplett mit pflegeleichtem Hartplastik ausgekleidet ist, lässt es sich hier gut aushalten. Der Fahrersitz ist gut gepolstert und bietet trotzdem guten Seitenhalt, es gibt jede Menge Ablagen für Papiere und auch fürs Smartphone.
Und wenn der Fahrer am Einsatzort noch einmal auf dem Laptop den Auftrag studieren will, kann er den Lenkradkranz per Knopfdruck nach hinten wegklappen und mithilfe eines kleinen passgenauen Tabletts in eine Arbeitsfläche verwandeln. Oder in eine Art Picknicktisch, wenn später die Mittagspause ansteht. Simply Clever würde man bei Skoda sagen. Und selbstverständlich gibt es für den Laptop auch einen Stromanschluss.
Obendrein muss der Fahrer – bis auf ein Headup-Display – heutzutage auch in einem Transporter auf nichts mehr verzichten, was den Verkehr sicherer macht und teure Schäden am Fahrzeug vermeidet. Besonders stolz sind sie bei Ford Pro auf einen „Exit-Warner“ – ein System, das den Fahrer davor warnt, die Türen zu öffnen, wenn sich rechts oder links ein Radler nähert. Im Zustelldienst hat man da schon viele haarsträubende Situationen erleben müssen.
Hohe Variantenvielfalt
Und das Platzangebot hinten? Ist riesig, schon in der kurzen Version. In den Laderaum passen hier bis zu 5,8 Kubikmeter oder 962 Kilogramm – die zehn Körbe mit Brötchen, die wir auf unserer Tour transportieren, kamen sich hier sicherlich verloren vor. Und den E-Transit Custom gibt es noch in einer längeren Version mit dann 6,8 Kilogramm Ladevolumen, mit Doppelkabine und auch als „MultiCab“ – mit dann L-förmiger Trennwand, zwei Sitzen in der zweiter Reihe und voller Laderaumlänge.
Und natürlich als Tourneo mit bis zu acht Sitzen, als Reisemobil oder Flughafen-Shuttle. Das Ganze in vier Ausstattungsvarianten und unzähligen Möglichkeiten, das Fahrzeug schon ab Werk für spezielle Aufgaben und Einsatzzwecke vorzubereiten. Beispielsweise mit Rundumleuchten für polizeiliche Einsätze oder ein aufwändiges Schließsystem für Sicherheitstransporte.
Insofern war VW Nutzfahrzeuge eigentlich ganz schlau, auf die Eigenentwicklung eines neuen Bulli als Nachfolger des T6.1 zu verzichten: Der neue T8-Kastenwagen und -Transporter, der im kommenden Jahr auch in einer Elektro-Version auf den Markt kommt, entspricht zu über 90 Prozent Transit Custom und Tourneo. Produziert werden beide Baureihen im Werk von Ford Otosan in der Türkei.