Als chinesische Autohersteller vor gut 15 Jahren zum ersten Mal versuchten, mit ihren Fahrzeugen im europäischen Markt einen Reifen auf den Asphalt zu setzen, endete das regelmäßig im Desaster. Der SUV von Landwind zerbröselte 2005 beim ADAC-Crashtest geradezu, die Autos von Brilliance zeigten sich als potenzielle Todesfallen. Ganz schnell verschwanden die chinesischen Autos wieder von europäischen Straßen. Jetzt versuchen es eine Handvoll Autobauer aus China – NIO, MG, Aiways, um nur ein paar zu nennen – erneut in einigen europäischen Märkten. Und sie zeigen wie WEY mit dem Plug-in Hybrid Coffee 01, wie sehr sie seit damals gelernt haben. Der knapp 4,9 Meter lange SUV schnitt beim offiziellen NCAP-Crashtest im September diesen Jahres mit Bestnoten ab: Fünf von fünf Sternen sind bravourös.

Chinese ohne viel Bling-Bling

Das mit der Sicherheit klappt also. Und sonst? Der Coffee 01 kommt zumindest außen mit modernem, wenn auch nicht aufregend neuem Design. Der riesige, fast schon bedrohlich wirkende Kühlergrill wird umrahmt von schmalen Scheinwerfern (Laserlicht optional) und auch das Heck mit der angenehm großen Ladeklappe könnte von jedem anderen Hersteller stammen. Alles wirkt ein bisschen rundlich, selbst die ausfahrbaren Türgriffe sind windschlüpfrig in die Karosserie integriert. Die Chinesen verzichten auf das übliche Bling-Bling, Chrom ist eher selten zu finden. Mit 4.870 mm Länge, 1.960 mm Breite und 1.690 mm Höhe ist der Coffee 01 trotzdem eine durchaus imposante Erscheinung.

Anders innen. Da sind die Designer schon mit deutlich mehr Kreativität ans Werk gegangen und bedienen sich bei der Rechnerleistung des Qualcomm Snapdragon 8155-Chips. Das digitale Kombiinstrument vor dem Fahrer ist angenehm klein und übersichtlich ausgefallen, serienmäßig versorgt auch ein Headup-Display mit den nötigsten Informationen. Navigation, Infotainment, Fahrzeugeinstellungen werden vor allem über ein iPad-großes Display gesteuert, ein weiteres Display darunter regelt die Einstellungen der Klimaanlage.

Innenraum mit viel Club-Atmosphäre

Praktisch ist das nur bedingt – denn viele Dinge, die man unterwegs mal eben neu einstellen will, lassen sich nur über diverse Untermenüs erreichen. Netter Gag: Die in die A-Säule integrierte Kamera zur Überwachung des Fahrers motzt dann sofort los, man solle sich bitte auf die Straße konzentrieren. Gewöhnungsbedürftig auch die Schalte am Lenkrad: keine richtigen Knöpfe, sondern – wie neuerdings bei den Fahrzeugen von VW – berührungssensible Druckpunkte.

Platz ist reichlich, auch in der zweiten Reihe, die dick gepolsterten Sitze sind bequem und vermitteln Clubatmosphäre. Der Kofferraum, im technischen Datenblatt schamhaft unterschlagen, gehört mit 400 Litern nicht unbedingt zu den größten seiner Klasse. Dafür gibt es aber keine Ladekante. Die Lehne der Rückbank ist im Verhältnis 40:20:40 geteilt umklappbar. Die maximale Anhängerlast liegt immerhin bei 2.000 Kilogramm.

Drei Motoren, CCS und ein 39 kWh-Akku

Hat man sich erst einmal an die präzise, aber arg leichtgängige Lenkung gewöhnt, ist der Coffee 01 ein angenehmer und entspannter Reisewagen. Die Federung ist komfortabel, Kurven- und Geradeauslauf problemlos. Reichlich Kraft liefern dem Plugin-Hybriden zwei Elektromotoren sowie ein Benziner: Ein 135-kW-Elektromotor (184 PS) sitzt an der Hinter- und ein 120 kW-Elektromotor (135 PS) an der Vorderachse. Der 2,0-Liter-Vierzylinder-Turbomotor leistet 204 PS (150 kW) und hat eine Ventilsteuerung nach dem Miller-Zyklus, die den Wirkungsgrad erhöhen soll. In der Summe 350 kW oder 476 PS sowie 847 Nm maximales Drehmoment sorgen denn für reichlich Vorwärtsdrang.

Wer das Fahrpedal durchtritt, der kann die für Elektroautos typische Beschleunigung genießen: In fünf Sekunden fliegt der 2,3-Tonner aus dem Stand auf Tempo 100, bei 235 km/h ist die Höchstgeschwindigkeit erreicht (da, wo es gesetzlich erlaubt ist, vermerken die Chinesen im Datenblatt). Rein elektrisch geht es übrigens bis 195 km/h.

Die im Fahrzeugboden verbauten Lithium-Ionen-Batterien haben eine Kapazität von für ein PHEV beachtlichen 39,67 kWh und lassen sich an der Schnellladestation (!) binnen 53 Minuten auf 80 Prozent aufladen. Das langt für eine rein elektrische Reichweite des Allradlers von 146 Kilometer, die Gesamtreichweite liegt bei 800 Kilometer. Der Verbrauch nach WLTP-Norm: 0,4 Liter auf 100 Kilometer, das entspricht nach der aktuellen Gesetzgebung einem CO2-Ausstoß von 12 Gramm auf einem Kilometer.

Preisliste beginnt bei 55.900 Euro

Bevor der Coffee 01 ab Januar 2024 in Deutschland auf die Straßen kommt (in anderen europäischen Märkten schon im kommenden Jahr), sollten die Ingenieure allerdings noch eine ganze Liste an kleinen, aber nervigen Fehlern beheben. Bei einigen der Vorserienmodelle, die man auf knapp 400 Kilometern Strecke rund um Lissabon bei regnerischem Wetter ausprobieren konnte, fühlte man sich zum Beispiel an den guten alten VW Käfer von vor 50 Jahren erinnert: Alle 15 Minuten beschlug die Windschutzscheibe von innen. Damals waren reichlich Tempotaschentücher zum Freiwischen an Bord, beim Coffee reicht es, die Scheibenlüftung immer wieder laufen zu lassen.

Nervig auch der Blinker – von selbst stellte er nach dem Abbiegen nur in den seltensten Fällen zurück. Und da er keinerlei Druckpunkte hat, gab es oft ein wüstes Hin und Her-Geblinke beim Versuch, ihn manuell auszuschalten. Nicht minder nervig die ansonsten ausgezeichnete Navigationsanzeige: In jedem Kreisverkehr überlagerte die 360-Grad-Kamera-Sicht die Kartendarstellung und das Rätselraten begann, welche Ausfahrt denn nun die richtige ist. Es ist also noch genug zu tun vor dem Start der Serienfertigung.

Die Preise, die WEY aufruft, zeigen schnell, dass die Tochtermarke des Great Wall-Konzerns nicht im Billigsektor des europäischen Marktes reüssieren will, wie anfangs die koreanischen oder japanischen Autohersteller. 55.900 Euro für die mit modernen Assistenzsystemen schon überdurchschnittlich gut ausgestattete Basis- und 59.900 Euro für die Premiumversion zeugen durchaus von Selbstbewusstsein.

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