Luc Bronk aus Amsterdam kennt alle Elektroautos, die in Europa unterwegs sind. Viele der Stromer davon ist der 23-jährige Elektroauto-Spezialist beim niederländischen Ladenetz-Betreiber Fastned schon selbst gefahren, von den übrigen kennt er zumindest das Ladeverhalten. Das gilt auch für Fahrzeuge, die noch gar nicht im Handel sind wie den neuen Mercedes EQS, den Audi e-tron GT oder den VW ID.5 . Oder für Exoten wie den Seres 3, einem neuen Elektro-SUV aus China, von dem die ersten Exemplare kürzlich in Europa eingetroffen sind.

Denn sobald die Vorserienautos und Prototypen an einer Schnelladestation von Fastned Strom zu zapfen beginnen, hat sie Luc auf dem Schirm. Nicht physisch, sondern als Datensatz: Das Elektroauto sendet während des Ladevorgangs jede Menge Informationen an die Stromtankstelle, die zur Kontrolle, für Abrechnung und Analyse weiter in die Fastned-Zentrale nach Amsterdam fließen. Und so erfährt dann Luc Bronk nicht nur, wie schnell der Strom in die Batterie fließt. Und welche Strategien die Elektroingenieure in den Autokonzernen beim Batteriemanagement anwenden, um Ladevorgänge einerseits so kurz wie möglich, andererseits so batterieschonend wie nötig zu gestalten. Bronk: „Da gibt es schon große Unterschiede.“

Die maximale Ladeleistung liegt bei vielen Elektroautos nur kurz an

Und wenn man sich die fahrzeugspezifischen Ladekurven ansieht, die Fastned auf der Basis der Ladevorgänge an ihren Schnellladern angefertigt hat, dann zeigt sich: Eine nominell hohe Ladegeschwindigkeit allein garantiert noch keine kurzen Ladepausen. Denn die maximale Ladeleistung liegt oft nur sehr kurze Zeit an.

Ladekurven der zehn populärsten Elektroautos in Europa
Starkes Leistungsgefälle
Ladegeschwindigkeiten von elf populären Elektroautos an Schnelladesäulen mit maximal 300 kW Leistung. Die Kurven zeigen: Die Ladeleistung hängt immer auch vom Ladezustand der Batterie (SoC) ab. Grafik: Fastned

Am besten schlägt sich aktuell noch der Audi e-tron: Gleichstrom nimmt er mit bis zu 150 Kilowatt (kW) auf. Damit nutzt das Elektroauto das Leistungspotenzial eines High Power-Chargers (HPC) von Fastned mit 300 kW zwar nur zur Hälfte. Aber der Audi e-tron hält seine maximale Ladeleistung von 150 kW bis der Akku bis fast zu 80 Prozent gefüllt ist. Erst danach drosselt das Batteriemanagement die Ladegeschwindigkeit deutlich. Diese Strategie sorgt dafür, dass die Batterie im Fahrzeugboden, die immer hin eine Speicherkapazität von 95 Kilowattstunden (brutto, netto 86kWh) hat, sich schnell füllt. Wer es eilig hat, sollte die Verbindung zur Ladesäule spätestens nach einer halben Stunde kappen, wenn ein Füllgrad (State of Charge, SoC) von 80 Prozent erreicht ist.

Mit einer beeindruckend hohen Lade-Spitzenleistung glänzt derzeit der Porsche Taycan. Die elektrische Sportlimousine kann dank einer 800 Volt-Architektur an einer HPC-Station Gleichstrom mit bis zu 270 kW aufnehmen. Ausgelegt ist das System sogar für eine maximale Ladeleistung von 350 kW – schneller zapft derzeit kein Elektroauto Strom. Allerdings liegt diese hohe Ladeleistung nur in den ersten Minuten nach dem Start des Ladevorgangs an, wenn der Akku zwischen 10 und 20 Prozent gefüllt ist. Ab einem SoC von 20 Prozent sinkt die Ladeleistung auf 200, ab einem SoC von etwa 60 Prozent auf 150 kW ab.

Elektroauto nicht zu früh an die Ladesäule steuern

Ähnliche (Lade-)Leistungsabfälle zeigen derzeit fast alle Elektroautos, je nach Hersteller und Modell schneller oder stärker. Sobald der Akku zur Hälfte gefüllt ist, fließt der Strom spürbar langsamer. Auch sollte man nie zu früh an eine Ladestation rollen: „Wenn der Akku noch zu 20 Prozent gefüllt ist, wird man nie die maximale Ladegeschwindigkeit erreichen.“ Und spätestens wenn der Akku zu 80 Prozent gefüllt ist, sollte die Verbindung zum Lader gekappt werden, rät Bronk. Denn danach geht es nur noch schleppend voran.

Opel Corsa-e und Renault Zoe an einer Schnellladesäule von EnBW
Die Ladeleistungen steigen schneller als die Reichweiten
Der Opel Corsa-e (rechts) kann seinen 50 kWh-Akku an einer Schnellladesäule mit bis zu 100 kW laden – die Renault Zoe nur mit bis zu 50 kW. Foto: EDISON

„Die Elektronen brauchen dann deutlich mehr Zeit, um noch einen freien Speicherplatz zu finden“, erklärt Fastned-Manager Bronc das Phänomen. „Das ist ähnlich wie beim Boarding eines Flugzeugs: Am Anfang finden die Passagiere schnell einen Platz, später gibt es ein Gedrängel.“ Zudem drosseln die Hersteller der Elektroautos die Ladeleistung, um eine Überhitzung der Zellen zu verhindern. Je kleiner der Akku, desto früher und umso kräftiger.

Je weniger Strom im Akku, desto kürzer ist die Ladezeit

„Am effektivsten ist das Schnellladen bei einem Füllgrad des Akkus zwischen 0 und 10 Prozent“, weiß EV-Spezialist Bronk: „Je weniger Strom noch drin ist, umso schneller geht das Laden bei den meisten Autos.“ Aber nicht immer: Mit dem neuen Polestar 2 steuert man die Schnellladestation idealerweise an, wenn der Akku noch zu 10 Prozent gefüllt ist. Dann fließt der Strom am schnellsten.

Allerdings, so weist der Fastned-Mitarbeiter hin, hänge die Ladegeschwindigkeit eines Elektroautos auch von anderen Faktoren ab. Insbesondere der Temperatur der Batterie beim Start des Ladevorgangs. Und da habe jedes Elektroauto seine ganz eigene „Wohlfühltemperatur“. Bei einem Tesla liege die bei über 40 Grad. „Das ist ganz schön heiß. Und die Temperatur wird man im normalen Fahrbetrieb auch nicht erreichen.“ Schon gar nicht im Winter. Nach 100 Kilometern Fahrstrecke komme man bestenfalls auf Werte zwischen 20 und 25 Grad Celsius. Die Folge: Die Leitfähigkeit des Elektrolyts in der Zelle sinkt, die Lithium-Ionen gelangen langsamer zu ihrem Speicherplatz.

Elektroautos mit flüssigkeitsgekühlten Akkus sind im Vorteil

Elektroautos mit luftgekühlten Akkus wie der Nissan Leaf oder der neue Lexus UX300e seien deshalb bauartbedingt im Nachteil, auch im Sommer. Doch bei den meisten Stromern, erst recht bei den neuen, sei der Batteriespeicher flüssigkeitsgekühlt, weiß Bronk. Das erleichtere das Thermo- und Lademanagement. Porsche wie Tesla nutzen dies, um die Batterie vorzuwärmen, wenn das Elektroauto auf der (zuvor im Navi programmierten) Langstrecke einen Ladestopp einlegen muss.

Die Ladesäule, erklärt Bronk, steuere die Ladegeschwindigkeit anhand der Informationen, die ihr das Fahrzeug liefere: „Allein das Elektroauto gibt an, wie viel Strom es aufnehmen kann.“ Das Batteriemanagement des Autos errechne den entsprechenden Wert nicht allein aufgrund der Zelltemperatur, sondern unter anderem auch aufgrund des Füllstands und des Alters der Batterie.

Ladeverhalten des Volkswagen ID.3 Pro an einer Schnellladesäule mit 150 und 50 kW Ladeleistung. Grafik: Fastned
Doppel so viel Strom nur die Hälfte der Ladezeit
Ladeverhalten des Volkswagen ID.3 Pro an Schnellladesäulen mit 150 und 50 Kilowatt Ladeleistung. Grafik: Fastned

Aus dem Grund, sagt Bronk, sollte man sich beim Kauf eines Elektroautos nicht von einer hohen maximalen Ladegeschwindigkeit blenden lassen: „Der Peak-Wert sagt nicht alles.“ Wichtiger sei, auf die Lade-Performance und die Ladezeit zu schauen.

Ladegeschwindigkeiten steigen schneller als die Reichweiten

Hier zeigten sich auch am deutlichsten die Fortschritte: „Die Ladegeschwindigkeiten gehen hoch.“ So betrage beim neuen Fiat 500 Elektro die Ladeleistung am DC-Schnelllader bis zu 85 kW – wobei der Akku nur 42 kWh Strom speichern kann. „Das verspricht sehr kurze Ladezeiten“. Bislang galt die Regel: Je kleiner der Akku, desto geringer die maximale Ladegeschwindigkeit. Doch das ändert sich gerade: Der Opel Corsa-e lädt Gleichstrom mit bis zu 100 kW. Und der neue VW ID.3 könne je nach Batteriegröße mit bis zu 125 kW geladen werden.

Bronk: „Da zeigt sich, wohin die Entwicklung geht: Die Ladegeschwindigkeiten gehen schneller hoch als die Reichweiten der Elektroautos.“ Das Tesla Model S konnte vor einigen Jahren nur mit maximal 120 kW Strom aufnehmen – der Porsche Taycan komme mit 270 kW inzwischen auf einen mehr als doppelt so hohen Spitzenwert. Dicht dahinter: Das Model 3 von Test mit 250 kW.

Wettrennen um die kürzeste Ladezeit

Und wie Bronk aufgrund seiner Einblick in das Ladeverhalten der „Erlkönige“ an den Fastned-Stationen weiß, werden die beiden „Lademeister“ schon bald Konkurrenz bekommen. Etwa durch den neuen Audi e-tron GT (270 kW), den VW ID.3 Pro S (170 kW), das neue Tesla Model S Plaid (225 kW), den Lucid Air (wohl über 300 kW). Auch der neue Ioniq5 verspricht in der Beziehung einiges – wie der Porsche Taycan setzt der Hyundai auf eine 800-Volt-Architektur.

Ladedienstleister wie Fastned haben sich längst darauf eingestellt: Alte DC-Schnellladesäulen mit Ladeleistungen von maximal 50 kW werden derzeit überall gegen solche mit wenigstens 150 kW ausgetauscht. EnBW baut HighPowerCharger mit 300 kW auf, Ionity solche mit 350 kW.

Elektroautos mit einer maximalen DC-Ladeleistung von 50 kW wie etwa der Renault Zoe hilft das gleichwohl nicht. Bronk: „Es ist immer das Auto, das die maximale Ladeleistung vorgibt.“

Der EV-Spezialist kann immerhin versprechen, dass im Fastned-Ladepark die Elektroautos immer die volle Ladeleistung bekommen – unabhängig davon, wie viele Fahrzeuge gerade an dem Standort laden. Bei einem Tesla Supercharger beispielsweise teilen sich normalerweise zwei Ladesäulen die Kapazität – wer später kommt, hat hier immer das Nachsehen. Eine Kalkulation der Ladezeit wird da schnell hinfällig.

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2 Kommentare

  1. Eugen

    „Und der neue VW ID.3 könne je nach Batteriegröße mit bis zu 125 kWh geladen werden.“ Da hat sich ein Fehler eingeschlichen: kW statt kWh 😉

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    • Franz W. Rother

      Danke für den Hinweis. Ist so natürlich Quatsch. Wird umgehend korrgiert.

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