Nio nimmt für den Flirt mit den Europäern einen neuen Anlauf. Denn nachdem die Chinesen uns zwar bislang mit ihrer Technik – vor allem dem Batteriewechsel – beeindruckt haben, aber unser Portemonnaie nicht erreichten, starten sie jetzt eine Charmeoffensive: Gegen Mini & Co bringen sie im Oktober den Firefly ins Rennen. Vier Meter kurz und innen trotzdem so geräumig wie ein Großer. Und mit einem knuffigen Design, das ein bisschen an den seligen Honda E erinnert.

Mit einem Grundpreis, der aufgrund der Strafzölle der EU bei uns mit knapp 30.000 Euro etwa doppelt so hoch sein wird wie der in China, ist der Firefly zwar kein Schnäppchen. Aber dafür bietet er auch deutlich mehr als die sogenannten „Volks“-Stromer, die aktuell in Europa angeboten werden. Neben dem Citroën ë-C3 oder dem Hyundai Inster und erst recht neben Leapmotor T03 sowie Dacia Spring glänzt das Glühwürmchen mit einer üppigen Komfortausstattung. Diese beinhaltet sogar klimatisierte Sitzen und eine elektrische Heckklappe. Zudem ist alles an Assistenzsystemen an Bord, was es heute für fünf Sterne im Euro-NCAP-Test braucht.

Damit kann man leben
 Autor Thomas Geiger zeigt sich von dem Firefly nach der Probefahrt durch Shanghai angetan - der Fahrspaß kommt hier nicht zu kurz.
Damit kann man leben
Autor Thomas Geiger zeigt sich von dem Firefly nach der Probefahrt durch Shanghai angetan – der Fahrspaß kommt hier nicht zu kurz.

Jede Menge Platz gibt es obendrein: Bei 2,62 Metern Radstand fährt man vorne wie in der Mittelklasse. Und weil die beiden Sitze miteinander verbunden sind, hockt man vorne wie auf einem bequemen Sofa. Auch hinten reicht es für mehr als nur zwei Grundschüler: Selbst Erwachsene halten es dort länger aus als nur bis in die Stadtmitte. Und wer beim Shoppen über sich hinaus gewachsen ist, muss keinen Lieferdienst beauftragen.

Schon der Kofferraum fasst 404 Liter und lässt sich auf 1235 Liter erweitern. Der Frunk ist – dem Heckantrieb sei Dank – mit 92 Litern größer als bei den allermeisten Mittelklassemodellen. Und als wäre das noch nicht genug, gibt es im Innenraum zwei Dutzend Ablagen, von denen die pfiffigsten untern dem Beifahrersitz und der Rücksitzbank versteckt sind. Beide sind groß genug für eine Hand- oder Einkaufstasche oder eine Tüte Schmutzwäsche nach dem Gym. 

„Lumo“ gibt Orientierung

Selbstredend sparen die Chinesen natürlich auch nicht an der Elektronik. Das Display hinter dem Lenkrad ist zwar kleiner als ein Smartphone. Aber daneben prangt ein großes Tablett, auf dem hübsch sortiert alle wichtigen Apps und die Navigation samt intelligenter Ladeplanung liegen. Wer sich da nicht gleich zurechtfindet, dem hilft „Lumo“ – die jugendliche Schwester von Nios digitaler Copilotin „Nomi“. Die klimpert einen zwar nicht mit Kulleraugen aus einer Kugel auf dem Cockpit an, ist aber genauso freundlich und hilfsbereit. Dank ChatGPT ist sie zudem ein kleines Sprachgenie, das einem auch zu Fragen des Alltags Rede und Antwort steht. Apple CarPlay und Android Auto sind auch an Bord, ebenso wie ein Soundsystem von Dolby. 

Jede Menge Platz 
Bei 2,62 Metern Radstand fährt man vorne wie in der Mittelklasse. Und weil die beiden Sitze miteinander verbunden sind, hockt man vorne wie auf einem bequemen Sofa. Fotos: Firefly
Jede Menge Platz
Bei 2,62 Metern Radstand fährt man vorne wie in der Mittelklasse. Und weil die beiden Sitze miteinander verbunden sind, hockt man vorne wie auf einem bequemen Sofa. Fotos: Firefly

Dass der Firefly wenn schon nicht billig, dann doch zumindest bezahlbar sein soll, merkt man allerdings beim Antrieb. Die 143 PS Motorleistung gehen für einen Kleinwagen, der vor allem im Stadtverkehr genutzt wird, noch vollkommen in Ordnung. Zumal er mit 200 Newtonmetern in 8,1 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigt und immerhin mit 150 Sachen über die Landstraßen fahren darf. Und was ihm am letzten Biss fehlt, macht er mit seiner Wendigkeit wieder wett. Weil der Motor die Hinterachse dreht, ist vorne Platz für einen großen Lenkeinschlag und gerade mal 9,40 Meter Straße reicht ihm für den U-Turn. Wo die anderen noch rangieren, schwirrt das Glühwürmchen deshalb schon wieder davon.

41,2 kWh Akku trägt den Glühwurm 330 Kilometer weit

Der aus Kostengründen mit LFP-Zellen bestückte Akku dagegen bewegt sich am unteren Rand der Toleranzgrenze. Er speichert gerade mal 41,2 kWh Strom, was für nur etwa 330 europäische Norm-Kilometer reicht. Auf dem Papier ist das vielleicht sogar noch genug für einen Stand- und Zweitwagen. In der Praxis könnte es allerdings knapp werden, zeigt unsere Fahrt durch Shanghai. Zumal der Firefly auch beim Laden eher glimmt als glüht: Am Wechselstrom-Lader liegen 11 KW an, an der mit Gleichstrom betriebenen Schnellladesäule maximal 100 kW. Das ist zwar mehr als Hyundai Inster (85 kW), Dacia Spring (30 kW) und Leapmotor T03 (45 kW) anbieten, aber den Citroën ë-C3 (ebenfalls 100 kW) schlägt der Glühwurm in der Disziplin nicht.

Hingucker 
Der kleine Firefly macht eine gute Figur. Was nicht nur an der Fahrwerkstechnik liegt, sondern an der Arbeit der Designer in München.
Hingucker
Der kleine Firefly macht eine gute Figur. Was nicht nur an der Fahrwerkstechnik liegt, sondern an der Arbeit der Designer in München.

Allerdings haben die Chinesen eine andere Lösung parat, mit denen keiner der genannten Konkurrenten aufwarten kann: Die Möglichkeit, die erschöpfte Batterie des Firefly in drei Minuten gegen eine gut gefüllte zu wechseln. So denn eine Power Swap-Station in der Nähe ist. Aber erstens hat Nio davon in Deutschland seit dem Start im Herbst 2022 gerade erst 20 Stationen installiert. Und zweitens kann der Firefly die gar nicht nutzen, weil sein Akku zu klein dafür ist. Deshalb muss Nio noch ein zweites, Firefly-spezifisches Netz aufbauen. Auch wenn diese Stationen günstiger in der Herstellung und einfacher zu montieren sein sollen als die Batteriecontainer der elektrischen Premiummarke – so schnell werden sie bei uns nicht aus dem Boden schießen.

Das reduziert die Strahlkraft des Glühwürmchens allerdings nur wenig, sollte seinem Erfolg auch bei uns keinen Abbruch tun. Denn der Viersitzer sieht gut aus, er fährt auch angenehm und bietet für seinen – bei uns leider nicht ganz so niedrigen – Preis erfreulich viel Substanz. Nio ist jedenfalls guter Hoffnung ist, den Geschmack der Europäer zu treffen und auch hierzulande größere Stückzahlen abzusetzen. Denn der Firefly wird zwar in Hefei produziert, drei ICE-Stunden nordwestlich von Shanghai. Doch erdacht und konzipiert wurden Marke und Modell von einem europäischen Team, das in München sitzt.

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