Preiswert sei der Stromer, hilfreich und gut. So könnte – frei nach Goethe – das Lastenheft für ein zeitgemäßes Elektroauto aussehen. Derzeit steht wie bei Goethe eher Edles ganz oben auf der Anforderungsliste. Denn nur bei hochpreisigen Elektroautos gibt es für den Hersteller eine Chance, damit nach Abzug der Beschaffungs- und Produktionskosten einen Gewinn zu erzielen. Beim VW ID.3 etwa, so hören wir aus Wolfsburg, ist das trotz der jüngsten Preiserhöhungen nicht der Fall.

Und beim Renault Kangoo E-Tech Electric, der – die Modellbezeichnung macht es überdeutlich – vollelektrischen Variante des kleinen Hochdachkombis für Familien und Gewerbetreibende dürfte es nicht viel anders sein. Renault spricht von einem „Erfolgsmodell“ und von 4,4 Millionen verkauften Einheiten seit 1997. Aber wie viele davon seit 2011 mit einem Elektroantrieb verkauft wurden, vermag der Produktmanager nicht zu sagen. Die erste Generation, so viel ist bekannt, verkaufte sich deutlich schlechter als geplant. Statt der bestellten 50.000 Motoren nahm Renault damals vom Lieferanten nicht einmal 20.000 Einheiten ab.

Mach mal Pause 
Die hinteren Schiebetüren des Kangoo erlauben den Fondpassagieren einen bequemen Ein- und Ausstieg. Bequem sitzen dürften auf der Rücksitzbank allerdings nur Kinder. Mehr Komfort verspricht da die geplante Langversion.
Mach mal Pause
Die hinteren Schiebetüren des Kangoo erlauben den Fondpassagieren einen bequemen Ein- und Ausstieg. Bequem sitzen dürften auf der Rücksitzbank allerdings nur Kinder. Mehr Komfort verspricht da die geplante Langversion.

Der Antrieb der dritten Generation mit Elektroantrieb produziert Renault selbst. Und nicht nur für sich allein. Auch der Mercedes-Benz EQT (und eCitan) sowie der Nissan Townstar EV laufen im französischen Maubeuge vom Band. Die Modelle unterscheiden sich nach Frontpartie, Interieur und Abstimmung, gleichen sich technisch aber wie ein Ei dem anderen: Für den Vortrieb sorgt ein fremderreger Synchronmotor mit 90 kW (122 PS) Leistung und maximal 245 Newtonmeter Drehmoment, der die Vorderräder bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 132 km/h antreibt. Die nötige Energie steuert ein flüssigkeitsgekühlter Lithium-Ionen-Akku mit einer Kapazität von 45 kWh bei. Große Sprünge und lange Touren sind damit naturgemäß nicht zu machen – nach etwa 200 Kilometern muss in aller Regel eine Ladesäule her.

Reichweiten um die 200 Kilometer

Renault selbst beziffert die Reichweite mit 285 Kilometer – bei einem auf dem Prüfstand ermittelten Normverbrauch von 19,2 kWh/100 Kilometern. Aber bei einer ersten Ausfahrt mit dem kompakten Stromer kamen wir bei spätwinterlichen Temperaturen um die neun Grad, mit zwei Personen an Bord und einem leeren Kofferraum auf einen Schnitt um die 21 kWh/100 km. Um aus dem Akku mehr als 200 Kilometer Reichweite herauszukitzeln, hätten wir vermutlich in den Eco-Modus wechseln und sämtliche Nebenverbraucher ausschalten müssen.

Jede Menge Stauraum
An Ablagen mangelt es im neuen Renault Kangoo nicht. Dafür ist der Platz für die Füße der Passagiere im Fond arg knapp bemessen. Dass sich die hintere Sitzbank um 14 Zentimeter verschieben lässt, bringt Erwachsenen keine Erleichterung.

Passagiere auf der Rücksitzbank mit mehr als 1,50 Meter Körpergröße sind auch ganz froh, dass alle 200 Kilometer eine Ladepause ansteht. Gibt diese ihnen doch die wahrscheinlich längst ersehnte Möglichkeit, die seitlichen Schiebetüren zu öffnen, um ein wenig die Füße auszuschütteln und die Glieder zu strecken. Viel Platz nämlich sie nämlich in der zweiten Sitzreihe nicht, insbesondere nicht für ihre Füße, wenn diese die Schuhgröße 38 überschreiten.

Langversion kommt später

Denn die Hochvolt-Batterie sitzt in der hinteren Hälfte des Kangoo und sorgt im Fahrzeugboden für eine kleine Stufe, die zwischen Batterie-Kante und Vordersitz die Bewegungsfreiheit arg einengt. Es gibt zwar die Möglichkeit, die Sitzbank um 14 Zentimeter nach vorne zu verschieben. Das nützt aber mehr dem Stauvolumen im Gepäckabteil als dem Sitzkomfort der Fondpassagiere. Wer es hinten etwas bequemer haben möchte, muss wohl auf die geplante, 4,90 Meter große Langversion des Kangoo warten – oder Fahrer und Beifahrer bitten, ihre Sitze so hoch wie möglich zu fahren. Dann passen vielleicht noch die Fußspitzen darunter.

Vorne hingegen ist der Fortschritt deutlicher spürbar. Optisch wie haptisch hat das Cockpit in der dritten Generation des Kastenwagens ordentlich gewonnen – auch in der Renault-Ausführung, die in der Topversion des Kangoo mit Edelholz-Optik auf dem Armaturenträger glänzt. Im neuen Mercedes EQT, der etwas später auf den Markt kommt, schaut es zwar nochmals edler aus. Aber dafür muss man dort auch tiefer in die Tasche greifen: Unter 49.000 Euro geht da nichts.

46.000 Euro sind schnell erreicht

Und beim Renault Kangoo? Fängt der Spaß bei 39.300 Euro an, mit der eher spartanisch möblierten und ausgestatteten „Equilibre“-Version. Die praktischen Schiebetüren im Fond gibt es zwar auch hier, aber der Strom fließt mit maximal 11 kW in den Akku. Wer den Kangoo auch außerhalb der Stadt und für längere Fahrten nutzen möchte, muss das Techno-Paket ordern und kann dann Wechselstrom mit 22 kW und Gleichstrom mit 80 kW laden. Das erhöht den Basispreis aber auch gleich schon auf 44.250 Euro. Und alle 14 Assistenzsysteme wären auch dann noch nicht an Bord. Ebenso wenig wie das Online-Multimediasystem mit 8-Zoll Touchscreen, Smartphone-Integration und einer Navigation mit etwas antiquierter Grafik. Ja selbst für einen E-Tech-Aufkleber müsste hier noch 50 Euro extra gezahlt werden. Dafür gibt es hinten rechts eine (nutzlose) Tankklappe kostenlos.

Fremdgänger 
Tesla gibt einige seiner Supercharger inzwischen auch für Fremdfabrikate frei. Der Renault Kangoo ist hier trotzdem fehl am Platz: Er kann Gleichstrom lediglich mit maximal 80 kW laden - theoretisch wären hier bis zu 240 kW möglich.
Fremdgänger
Tesla gibt einige seiner Supercharger inzwischen auch für Fremdfabrikate frei. Der Renault Kangoo ist hier trotzdem fehl am Platz: Er kann Gleichstrom lediglich mit maximal 80 kW laden – theoretisch wären hier bis zu 240 kW möglich.

Bei unserem Testwagen summierten sich alle Extras auf über 46.000 Euro. Für eine Auto dieser Größe und mit diesem Nutzwert ist das eine stolze Summe. Als Vollstromer, erinnern wir uns, war der Kangoo als Transporter eine Generation zuvor schon für etwas mehr als 20.000 Euro zu haben. Und selbst nach Abzug des Umweltbonus von 6.750 liegt die neue Version immer noch über 9.000 Euro über einem vergleichbar ausgestatetten Kangoo mit Benzinmotor und Siebengang-Automatikgetriebe. Der damit nicht nur bis zu 184 km/h schnell ist, sondern mit einer Füllung seines Tanks im Idealfall auch bis zu 700 Kilometer weit kommt. Und den Kostenvorteilen, die der Stromer bei Wartung und Kfz-Steuer hat, stehen erhebliche Erlösrisiken beim Wiederverkauf entgegen. Mit einem Wort: Rein ökonomisch betrachtet, geht die Rechnung niemals auf.

Wahrscheinlich auch nicht für den Autohersteller: Es ist weiterhin schwer, mit einem kleinen Elektroauto Geld zu verdienen. In der Pariser Renault-Zentrale wären sie deshalb vermutlich ganz froh, wenn sich in den kommenden Jahren möglichst viele Menschen noch für einen benzin- oder dieselgetriebenen Kangoo entscheiden sollten. Bis 2035 und einem Verbrenner-Verbot in Europa ist es ja noch eine ganze Weile hin. Dafür gilt es jetzt erst einmal, die Kassen zu füllen.

Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert