Wir haben lange warten müssen. Aber endlich ist das Model Y von Tesla nun auch in Deutschland verfügbar. Derzeit kommen die Fahrzeuge noch sämtlich aus dem Tesla-Werk in Shanghai und noch nicht aus der neuen Gigafactory in Grünheide bei Berlin, deren Fertigstellung eigentlich am 9. Oktober mit einem Volksfest gefeiert werden sollte. Aber bis zur Aufnahme der Fahrzeugproduktion dort wird es vermutlich noch eine Weile dauern – vor der lang erwarteten Betriebsgenehmigung muss der kalifornische Autohersteller noch einige Auflagen des  Brandenburgischen Landesamts für Umwelt (LfU) erfüllen.

Egal – mit den Autos aus China können die langen Wartelisten nun langsam abgebaut werden. Das Angebot an vollelektrischen Mittelklasse-SUVs ist hierzulande zwar inzwischen groß – allein der Volkswagen-Konzern bedient es mit den drei Modellen VW ID.4, Skoda Enyaq und Audi Q4 e-tron. Aber das Model Y von Tesla nimmt auf dem Markt immer noch eine Sonderstellung ein, wie auch der Blick in die Zulassungsstatistiken zeigt – allein im August wurden hierzulande 864 Fahrzeuge des Typs zugelassen. Damit belegte das Model Y im deutschen E-Mobil-Ranking gleich zum Start bereits Platz 9 der Zulassungsstistik, hinter dem Model 3 (2946 Neuzulassungen), dem Skoda Enyaq (1326) und VW ID.4 (1278).

Große Heckklappe macht den Unterschied

Wir wollten uns selbst ein Bild von dem Auto verschaffen, zumal die Verarbeitungsqualität des Tesla Model Y viel besser sein soll als die bei der Markteinführung des Schwester-Modells mit der Ziffer 3. Die Möglichkeit dazu gab uns die Firma MontorRent aus Filderstadt, die ein Model Y Longe Range zur Verfügung stellte.

Der erste Eindruck: Das Model Y ist dem Model 3 wie aus dem Gesicht geschnitten. Von vorne fallen die Unterschiede kaum auf. Erst in der Seitenansicht werden die Unterschiede deutlich – die Dachlinie ist deutlich höher und ähnlich wie beim Model X. Auf die Flügeltüren hinten wurde beim Model Y aber aus Kostengründen verzichtet – schade. Das Heck ist eine Mischung aus Model 3 und Model X. Größter Vorteil gegenüber dem Model 3 ist natürlich die große Heckklappe.

Fremdgänger
Tesla-Fahrzeuge sieht man an den Schnellladesäulen des Ionity-Konsortiums eher selten – sie haben ihr eigenes Ladenetz.

Das Model Y wirkt kleiner als er wirklich ist, bietet aber mit 6 Zentimetern mehr Länge und fast 20 Zentimetern mehr Höhe als das Model 3 deutlich mehr Platz im Innenraum. Dafür ist er natürlich schwerer: Statt 1847 beträgt das Leergewicht 2003 Kilogramm. Ein VW ID.4 mit 77 kWh-Akku ist aber noch einmal 120 Kilo schwerer.

Verarbeitungsqualität wird besser

Natürlich haben wir uns ganz genau die Spaltmasse, den Lack und die Übergänge angeschaut – da hatte Tesla und insbesondere das Model 3 bislang die größten Schwächen. Doch bis auf kleinere Fehler sieht recht ordentlich aus, was da in China gebaut wird. Tesla scheint aus den Fehlern gelernt zu haben. 

Ein- und Ausstieg fallen leicht. Was uns weniger gefällt, sind die Türgriffe außen, die wie beim Model 3 zuerst mit dem Daumen eingedrückt und dann gezogen werden müssen. Vorne sitzt man bequem, gleiches gilt für die hinteren Sitzplätze. Kopf und Beinen wird reichlich Platz geboten. Die Rundumsicht vom Fahrersitz ist gut bis auf die sehr schmale und hoch platzierte Heckscheibe.

Groß ist auch der Kofferraum mit zwei extra Staufächer unter dem Boden. Und wenn die Rücksitzbank umgelegt wird, sind sogar 1900 Liter Stauvolumen verfügbar. Das ist wesentlich mehr als BMW iX3, Mercedes EQC oder Volvo XC40 Recharge Twin bieten. Unverständlich aber, dass Tesla so etwas wie eine Kofferraumabdeckung nicht zu kennen scheint – hier wird der Käufer im Zubehörhandel eine Lösung suchen müssen. Kleinere Sachen kann man immerhin unsichtbar unter der Fronthaube im so genannten „Frunk“ verstauen.       

Gefahrenquelle Touchscreen

Der Innenraum des Model Y ist praktisch identisch mit dem des Model 3. Neu sind hier nur das Panoramadach ohne Querstrebe und die Rücksitzbank. Ablageraum gibt es genügend in der breiten Mittelkonsole vorne, in den Türtaschen und im Handschuhfach. Es gibt zwei Cupholder und die Möglichkeit, das Handy induktiv aufzuladen.

Die Verarbeitungsqualität ist auch hier in Ordnung, allerdings wirken die Materialien nicht so hochwertig, wie man es von einem Premiumfahrzeug dieser Preisklasse erwartet. Viele Oberflächen sind aus Hartplastik und manche sogar nur leicht genarbt – auch da, wo man öfters hinlangt. Da kommen die Wettbewerber von BMW, Mercedes und Volvo sichtbar hochwertiger daher. Und auch der VW ID.4 hat da mit der jüngsten Produktpflege Tesla überholt.

Im Mittelpunkt steht natürlich der große Touchscreen, über den Tesla-typisch fast alles im Auto bedient wird. Wir finden die Bedienung nicht optimal. Das gilt vor allem für wichtige Funktionen wie Scheibenwischer, Fahrerassistenzsysteme, Klima und Radio. Es braucht einfach zu lange, um die Funktionen zu finden und zu bedienen. Wegen der großen Gefahr der Ablenkung müssten einige Funktionalitäten eigentlich während der Fahrt deaktiviert werden. Zumal die digitalen Knöpfe klein sind und jegliche haptische Rückmeldung fehlt. Einiges kann man allerdings auch per Sprachsteuerung regeln, was schnell und recht gut funktioniert.

Typisch Tesla
Das Model Y ist dem Model 3 wie aus dem Gesicht geschnitten

Optimal ist natürlich wiederum das Navigationssystem, das nach der Zieleingabe und unterwegs die nötigen Ladepausen am Supercharger zeigt. Die Ladepunkte des Ionity-Schnelladenetzwerks blendet das System hingegen weiterhin aus. Gerne hätten wir auch ein Head-up-Display, weil man dann nicht mehr schielen muss, um zu erfahren, wie schnell man gerade unterwegs ist oder wann die nächste Abzweigung kommt.

Software-Updates werden unkompliziert über Funk eingespielt- da ist Tesla dem Wettbewerb noch weit voraus. Die Tesla-App haben wir nicht getestet, welche übliche Funktionen wie Vorkonditionierung, Ladeüberwachung und noch viel mehr bietet. Ist die App nicht auf dem Smartphone installiert, muss die Schlüsselkarte an die B-Säule gehalten werden, um die Türverrieglung aufzuheben. Und danach muss die Karte ein weiteres Mal auf die Mittelkonsole gelegt werden, um den Antrieb zu aktivieren: Sehr unpraktisch.

Ordentlich Beschleunigung – wenig Komfort

Die allradgetriebene Longe Range-Version des Model Y verfügt über 258 kW (351 PS) Spitzenleistung und 527 Newtonmeter Drehmoment. Von 0 auf 100 km/h geht es zackig in fünf Sekunden. Und dort, wo so etwas noch erlaubt ist, sind Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 217 km/h möglich. Neu sind die einstellbaren Fahrmodi für Winterbedingungen und für Offroad.

Die satte Antriebs-Power, das hart abgestimmte Fahrwerk und der tiefe Schwerpunkt laden zu einer sportlichen Fahrweise ein. Das Kurvenverhalten ist stabil und lange neutral, auf plötzliche Lastwechsel reagiert das Auto gelassen. Dafür hat Tesla beim Kapitel Komfort geschludert: Informationen über Schlaglöcher und Fahrbahnrillen werden den Insassen unmittelbar geliefert, auch wenn unser Testwagen auf „weicheren“ Rädern im 19 Zoll-Format rollte. Die unausgewogene Abstimmung wäre mit adaptiven Dämpfern oder mehr Finetuning sicher zu verbessern. Im Menu kann man zwar die Lenkradkräfte einstellen. Trotzdem bleibt die Lenkung schwammig.  

Die Elektroauto-Vermietung nextmove hat den Audi e-tron zusammen mit vier anderen Elektroautos auf die Autobahn geschickt, um Verbrauch und Reichweite bei höheren Geschwindigkeiten zu ermitteln. Das Ergebnis überrascht. Elektroauto

Die Bremsanlage hingegen überzeugt mit ihrer starken Wirkung und einer guten Dosierbarkeit. Bis zu 1600 kg Anhängelast sind erlaubt – das ist aktuell Höchstwert in der Klasse. Verwunderlich ist allerdings, dass die maximale Zuladung nur 390 Kilogramm beträgt – üblich in der Klasse sind bis zu 100 Kilo mehr. Die Sicherheitsausstattung umfasst wie im Model 3 Spurhalteassistent, Totwinkelassistent, Notbremsassistent und Tempomat.

Große Reichweite und hohe Ladeleistung

Zum Schluss die Paradedisziplin von Tesla: Reichweite, Verbrauch und Ladeleistung. Mit dem Akku (Kapazität netto 75 kWh) verspricht Tesla 505 Kilometer Reichweite nach der Verbrauchsnorm WLTP. Im Test lag der Durchschnittsverbrauch bei 18 bis 22 kWh auf 100 Kilometer, was eher für Reichweiten um die 400 Kilometer spricht. Auf Schleichfahrt durch die Stadt wies der Bordcomputer immerhin Werte um die 9 kWh aus. Wichtig für den Winter: Das Model Y hat eine Wärmepumpe an Bord. Auch gut: Die Rekuperation ist in drei Stufen einstellbar und ermöglicht einfaches One-Pedal-Driving.

An den neuen Tesla-Superchargern vom Typ V3 sowie an CCS Schnellladesäulen wird Gleichstrom mit bis zu 250 kW gezogen, an der Wallbox Wechselstrom mit 11 kW – das kann sich sehen lassen. Die Ladekurve von p3 zeigt für Ladestände zwischen 10 und 80 Prozent eine durchschnittliche Ladeleistung von immerhin 146 kW. Das kann sich sehen lassen.   

Noch viel Luft nach oben

Fazit: Teslas neues Model Y ist eine starke Kombination aus Raum, Reichweite und Performance. Mit einem Listenpreis von 59.650 Euro (vor Umweltbonus) für die Langstreckenversion setzt Tesla hier Maßstäbe, auch wenn sich die Kalifornier den Raumgewinn und die höhere Praktikabilität mit einem Aufpreis von 5.690 Euro gegenüber dem Model 3 teuer bezahlen lassen. Dagegen punkten die Konkurrenten aus Deutschland beim Komfort, bei Bedienung und Verarbeitung, aber auch mit den Möglichkeiten zur Individalisierung des Fahrzeugs – da ist bei Tesla noch viel Luft nach oben.

Gespannt warten wir nun auf das Model Y aus Grünheide. Vielleicht sehen wir da ja schon eine weitere Modellpflege.

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1 Kommentar

  1. herhoe

    Schade ist, dass es kein HUD gibt, auch schlecht ist aus meiner Sicht auch, dass es keine 360°- Kamera gibt.
    Mich würde mal interessieren, wie die Reichweite wäre, wenn man einen 1500 kg schweren Anhänger an der Kupplung hat.

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