Unser Bäcker beliefert damit seine Filialen mit Bröt und Teilchen, der Installateur nutzt das Fahrzeug für Reparatureinsätze bei seinen Kunden – und um hier und da noch schnell neue Gasthermen auszuliefern. Kompakte Hochdachkombis vom Schlag eines Renault Kangoo Rapid, Citroën Berlingo, Ford Transit Courier oder Nissan Townstar stehen bei Handwerksbetrieben seit vielen Jahren hoch im Kurs. Aber auch Kurierdienste und junge Familien wissen die praktischen Kastenwagen zu schätzen. Denn sie sind nicht nur wendig und vielseitig einsetzbar, sondern obendrein eine erschwingliche Mobilitätslösung. Einen neuen Renault Express Kastenwagen in einfachster Ausführung gibt es hierzulande schon für etwas mehr als 20.000 Euro, den Kangoo als Personentransporter für 26.350 Euro. Vorausgesetzt, das Fahrzeug wird mit einem Benzinmotor betrieben.

Aber das Zeitalter der Verbrenner geht bekanntlich zu Ende. Und mit einem Elektroantrieb sieht die Rechnung schon anders aus. Auch der Alltagsnutzen des Fahrzeugs ändert sich mit der Antriebswende. Aber der Reihe nach.

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Der Nissan Townstar ist mit zwei Schiebetüren sowie den beiden Hecktüren der perfekte Lieferwagen für den Stadtverkehr. Die Verglasung der hinteren Öffnungen kostet allerdings extra -serienmäßig sind sie komplett geschlossen.
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Der Nissan Townstar ist mit zwei Schiebetüren sowie den beiden Hecktüren der perfekte Lieferwagen für den Stadtverkehr. Die Verglasung der hinteren Öffnungen kostet allerdings extra -serienmäßig sind sie komplett geschlossen.

Den neuen elektrischen Renault Kangoo Rapid E-Tech und das Schwestermodell mit Stern, den Mercedes eCitan, konnten wir schon vor einigen Monaten kennenlernen und – kurz – probefahren. Doch es gibt noch einen Dritten im Bunde, der um die gleiche Zielgruppe buhlt: den Nissan Townstar. Er wird wie die beiden anderen ebenfalls in Frankreich produziert, hat mit einer Länge von 4,49 Metern, einer Breite von 2,16 Metern (inklusive Außenspiegel) und einer Höhe von 1,86 Metern die gleichen Abmessungen wie die beiden Schwestermodelle.

Und auch beim Antrieb geben sich die E-Drillinge nichts: Der Elektromotor an der Vorderachse leistet 90 kW (122 PS) und verfügt über ein maximales Drehmoment von 245 Newtonmetern. Und der Lithium-Ionen-Akku zwischen den Achsen speichert bis zu 45 Kilowattstunden und kann mit maximal 80 kW geladen werden. So nach etwa 300 Kilometern, sagt der Hersteller, wenn die Batterie mehr oder minder komplett leergesaugt wird.

Renault Zoe lässt grüßen

Das alles klingt gar nicht mal so schlecht. Und auch in der Nissan-Optik – mit etwas anderer Frontmaske und leicht modifizierten Stoßfängern sowie dem Nissan-Schriftzug auf der Lenkrad-Nabe – sieht der Kastenwagen durchaus ansehnlich aus. Der erste Eindruck von dem Fahrzeug ist also durchaus gut, das uns eines Tages zu einem 14-tägigen Alltagstest vor die Haustür gestellt wird. Für die Eingewöhnung brauchten wir zudem keine Minute: Wer einmal eine Renault Zoe gefahren hat, findet sich auch im Nissan Townstar sofort zurecht.

Denn aus Kostengründen sind viele Bedienelemente und auch das Lenkrad von dem Bestseller übernommen worden. Leider auch das in die Jahre gekommene Navigationssystem – die Darstellungen auf dem Zentraldisplay kommen im Vergleich zu dem System, das beispielsweise im neuen Renault Megané E-Tech eingesetzt wird, reichlich grob daher.

Japaner aus Frankreich 
Der Nissan Townstar ist das Schwestermodell des neuen vollelektrischen Renault Kangoo und nutzt im Cockpit viele Bedienelemente auch der Renault Zoe, Phase 2. Was kein Nachteil ist, sondern die Bedienung sehr erleichtert.
Japaner aus Frankreich
Der Nissan Townstar ist das Schwestermodell des neuen vollelektrischen Renault Kangoo und nutzt im Cockpit viele Bedienelemente auch der Renault Zoe, Phase 2. Was kein Nachteil ist, sondern die Bedienung sehr erleichtert.

Dafür gibt es überreichlich Ablagen, für Lieferpapiere oder was ein Handwerker und Kurierfahrer so alles mit sich führt. Auch die Ladeschale für das Smarthone oder der Handy-Klemmhalter hinter dem Lenkrad (der sich sogar in zwei Positionen fixieren lässt) dürften die Nutzer freuen. Die Qualität des Sitzgestühl ist ganz ordentlich, jedenfalls für ein Fahrzeug, das überwiegend im Stadtverkehr eingesetzt werden dürfte. Unser Testwagen in der Topversion Tekna verfügte über zwei Einzelsitze. Gegen Aufpreis ist der Kastenwagen auch mit einer Doppelsitzbank auf der Beifahrerseite erhältlich – oder in Kombination mit einer variablen Gitter-Trennwand auch mit einem faltbaren Beifahrersitz zur Vergrößerung der Ladefläche.

Ordentlich Platz im Gepäckabteil

Die dürfte allerdings schon in das Basisausführung für die meisten Einsatzzwecke reichen. Eine Europalette geht da locker rein – oder 56 Bierkästen, wie ein Schnelltest am Getränkemarkt ergab. Damit lässt sich schon eine ganze Menge anfangen. Etwas unverständlich ist allerdings, dass ab Werk weder auf dem Boden der Ladefläche noch in den Seitenwänden oder an der Decke des Laderaums kräftige Lastösen zum Verzurren der Ladung vorgesehen sind. Die gibt es nur, wenn (gegen Aufpreis, versteht sich) ein Laderaumboden geordert wird.

Und auch an eine Halterung im Gepäckabteil für das Ladekabel haben die Entwickler nicht gedacht – das muss dahin gepackt werden, wo nach dem Beladen des Fahrzeugs noch Platz ist. Perfekt wäre ein „Frunk“, ein zusätzlicher kleiner Packraum unter der Motorhaube. Doch das vordere Abteil ist so voll mit Technik, dass da kein Platz mehr bliebt für einen zusätzlichen Kabelwurm.

Platz für 56 Bierkästen 
Der Laderaum des Nissan Townstar ist gut nutzbar. Die beiden Schiebetüren erleichtern die Beladung ebenso wie die niedrige Ladekante. Der Boden ist strapazierfähig, Ladeösen vermissten wir allerdings ebenso wie einen Haken für das Ladekabel.
Platz für 56 Bierkästen
Der Laderaum des Nissan Townstar ist gut nutzbar. Die beiden Schiebetüren erleichtern die Beladung ebenso wie die niedrige Ladekante. Der Boden ist strapazierfähig, Ladeösen vermissten wir allerdings ebenso wie einen Haken für das Ladekabel.

Und der wird häufiger benötigt als der Firmenprospekt Glauben macht: Wer den Townstar nicht ausschließlich mit Tempo 30 im Stadtverkehr bewegt, muss alle 200 Kilometer eine Ladesäule oder Wallbox ansteuern, um dort Wechselstrom mit bis zu 22 kW aufzunehmen. Am Gleichstrom-Schnelllader geht es etwas schneller, dort fließen immerhin 85 kW. Denn unter einen Durchschnittsverbrauch unter 20 kWh/100 km ließ sich der kompakte Nissan selbst im Eco-Modus nicht bringen, obwohl er die meiste Zeit leer, also ohne schwere Lasten, durch die Gegend fuhr und die Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h nur ganz selten angestrebt wurde.

Na ja, mit einem Leergewicht von rund 1,7 Tonnen ist der Stromer immerhin rund 200 Kilogramm schwerer als die benzingetriebene Version. Was nicht nur die Nutzlast reduziert, sondern auch die Reichweite. Konkret um über 400 Kilometer gegenüber der benzingetriebenen Variante, die mit dem Inhalt ihres 54-Liter-Tanks Touren von immerhin fast 700 Kilometern schaffen soll.

Testwagenpreis von über 53.000 Euro

Da dürfte so mancher Handwerker mächtig ins Grübeln kommen, zumal der elektrogetriebene Nissan Townstar deutlich teurer ist als der Verbrenner: Der Einstiegspreis des Kastenwagens beträgt 40162 Euro inklusive Mehrwertsteuer und vor der Umweltförderung in Höhe von 6750 Euro – die allerdings ab September für Gewerbetreibende komplett wegfällt. Unser Testwagen in Tekna-Ausführung kam mit den beiden verglasten Schiebe- und Hecktürentüren sowie ein paar anderen Extras gar auf einen Preis von über 53.000 Euro.

Da braucht es schon einen Käufer mit viel Idealismus, dicken Rücklagen und möglichst auch einer großen PV-Anlage auf dem Betriebsgelände, um den Fahrstrom kostengünstig selbst zu erzeugen: An öffentlichen Ladesäulen schießen die Strompreise gerade durch die Decke. Oder es braucht eine Stadtverwaltung, die nur noch Fahrzeuge mit emissionsfreien Antrieben in die City lässt oder mit anderen Mitteln die Antriebswende erzwingt. Alle anderen werden wohl weiterhin zum Nissan Townstar mit Benziner oder Diesel greifen: Wer ein Unternehmen führt, muss auf jeden Euro achten.

Privatleute müssen das natürlich auch. Für die gibt es den Townstar auch als Pkw-Version „Kombi“ – ab 39.900 Euro aufwärts.

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3 Kommentare

  1. Realist

    „Platz für 56 Bierkästen“ macht nach Adam Riese und kurzer Recherche 1176 KG Zuladung. Respekt, hätte ich bei so einer Plastik-Billig-Kiste nicht erwartet. Ironie aus:-)

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    • Franz W. Rother

      Wie auf dem Bild zu erkennen, haben wir mit Leergut hantiert. Das Gewicht war dabei nicht berücksichtigt. Immerhin kennen Sie sich da aus…

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      • Realist

        E-Autos können also nur Leergut transportieren. Dann bin ich jetzt noch „schlauer“😜 Aber Bier soll ja demnächst (neben den Verbrennen) auch verboten werden 🥴

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