Es ist grau und kühl auf der kleinen Teststrecke im Wolfsburger VW-Werk. Doch für Dzemal Sjenar strahlt trotzdem die Sonne. Denn nur wenige Tage nach Weltpremiere auf der IAA Mobility bittet der oberste Prototypenbauer der Niedersachsen heute zum ersten Test mit seinem jüngsten Baby und schickt hinter meterhohen Zäunen und drei Sicherheitsschleusen den ID.Life auf seine Jungfernfahrt mit einer ausgewählten Schar von Journalisten.
Zwar dauert es noch fast vier Jahre, bis der kleine Stromer in Serie geht und in größeren Stückzahlen auf die Straße rolle. Doch sind der Wagen und seine Botschaft für die Wolfsburger zu wichtig, um bis dahin in Schweigen zu verharren. Schließlich soll der Elektro-Zwerg als neues Einstiegsmodell der ID-Familie dem Namen „Volkswagen“ wieder gerecht werden und die Elektromobilität auch für Normalverdiener erschwinglich machen. Denn bei aktuell mindestens 35.460 Euro für den ID.3 ist Volkswagen von volkstümlichen Preisen weit entfernt. Das Geschäft mit größeren Stückzahlen zu kleineren Preisen muss der Konzern da Importeuren wie Renault, Honda oder Fiat, im schlimmsten Fall den Chinesen überlassen.
War der Kleinwagen in München noch der große Star, wirkt er auf dem Testgelände im Herzen des Werkes fast schon verloren. Schließlich ist er mit seinen 4,09 Metern Länge fast 20 Zentimeter kürzer als der ID.3. Und das bisschen mehr Bodenfreiheit, das ihn näher an einen T-Cross rückt als an den gleich langen Polo, hebt ihn auch nicht wirklich in den Blickpunkt – da können seine Kulleraugen, die vorne wie hinten bis auf die Farbe absolut symmetrisch sind und verdächtig an den Honda E erinnern, noch so charmant grinsen.
Doch spätestens bei der Sitzprobe ändert sich das Bild – und zwar radikal. Denn wie alle dezidierten Elektroautos ist auch der ID.Life ein Raumriese: Hinten wähnt man sich deshalb bei 2,65 Metern Radstand besser aufgehoben als in jedem Golf. Und vorne kommt fast Bulli-Gefühl auf – so luftig ist der umbaute Raum.
Keine Schalter, keine Taster, keine Anzeigen
Das liegt allerdings auch am radikal reduzierten Cockpit, gegen das selbst die auch schon ziemlich kahle Armaturentafel des ID.3 hoffnungslos überladen aussieht. Nicht nur, dass es im ID.Life praktisch keine Schalter mehr gibt und keine Taster. Auch die Anzeigen haben Sjenar und seine Truppe eingespart. Und selbst das Lenkrad überlebt in dieser Vision und wie bei Tesla nur noch als Lenkhorn.
Die einzigen Sensorflächen gibt es noch im Zentrum des Lenkrades. Alle Anzeigen laufen wahlweise übers Head-Up-Display oder das mitgebrachte Smartphone. Und die allermeisten Kommandos flüstert man dem ID.Life über die Sprachsteuerung ein.
Schon damit beamt VW künftige Kunden in eine neue Welt. Doch wirklich spannend wird es erst, wenn der ID.Life vom Fahrzeug zum Stehzeug wird. Denn um den Insassen die Zeit an der Ladesäule oder im Stau zu verkürzen, surrt auf Kommando eine Leinwand aus dem Armaturenbrett, dahinter flammt ein Beamer auf – und statt auf den Horizont schaut man nach Hollywood.
Und damit man dabei möglichst bequem sitzt, werden die Plätze im Fond zum Kino-Sessel und die Sessel in der ersten Reihe zur Beinauflage. So lässt sich der Innenraum des ID.Life für längere Pausen auch zur Liegelandschaft umbauen. Wer mehr Platz braucht als die 410 Liter im Kofferraum und die knapp 100 Liter Stauraum im Bug, der kann entweder wie im Honda Jazz die hinteren Sitzkissen aufstellen oder die Rückbank ganz umlegen.
Produkt der Kreislaufwirtschaft
Dazu gibt es ein neues Materialkonzept, das Nachhaltigkeit weit über den Antrieb hinausdenkt: Die Kunststoff-Karosserie ist nicht lackiert, sondern mit bunten Holzschnipseln eingefärbt. Innen gibt es Echtholz aus zertifizierten Wäldern und die Sitzbezüge sind aus recycelten PET-Flaschen. Der Clou sind aber die Haube am Bug und das Dach – eine Art Luftpolsterfolie aus wiederverwendetem Plastik-Müll.
Die ist nicht nur nachhaltig und leicht und damit gut für die Reichweite und bildet obendrein einen hübschen Kontrast zum matt schimmernden Grundkörper. Die Textilbahnen, die das Dach überspannen, lassen sich außerdem einfach mit einem Reißverschluss entfernen. Dann wird der ID.Life obenrum zum Targa und im Bug zur Kaffeebar. Denn um auf die erste Steckdose hinzuweisen, mit der kommende E-Mobile aus Wolfsburg ihren Strom auch wieder ins Netz speisen können, haben die Designer kurzerhand eine Nespresso-Maschine im „Frunk“ unter der Fronthaube installiert.
Wie jede Studie ist auch der ID.Life – nun ja – ein wenig überzeichnet und viele diese Details haben kaum Chancen auf eine Serienfertigung – erst recht nicht in einem Einstiegsmodell zum Kampfpreis. Doch die Technik unter der hübschen Hülle ist dafür um so greifbarer. Denn auch der ID.Life nutzt den Modularen Elektro-Baukasten (MEB) des Volkswagen-Konzerns, der für den Einsatz am unteren Ende der Kompaktklasse ein wenig zurechtgestutzt wurde.
57 kWh-Akku für 400 Kilometer Reichweite
Das gilt – zumindest bei der Studie – allerdings erst einmal nicht für die Antriebskomponenten: So hat die Batterie noch immer ziemlich üppige 57 kWh, die für rund 400 Kilometer stehen sollen und den ID.Life zum Reichweitenkönig im Stadtverkehr machen würden. Und wo selbst ein Polo GTI nur 132 kW (180 PS) Leistung hat, fährt der ID.Life mit einer Maschine von 177 kW oder nach alter Währung 234 PS, die sogar die meisten ID3-Versionen aussticht.
Das sind Eckdaten, die weder nötig sind für einen Kleinwagen noch angeraten mit Blick auf die soziale Verträglichkeit. Zumindest für das Basismodell dürfte es deshalb eher auf vielleicht 40 kWh Batteriekapazität und 100 kW Leistung hinauslaufen – was gegenüber dem e-Up immer noch ein großer Sprung wäre.
Zumal VW an anderer Stelle bereits bewiesen hat, dass die Ingenieure den Rotstift spitzen. Nicht umsonst haben die dem Spardiktat den Heckantrieb geopfert und den Motor in den Bug geholt. „Das spart Kabel und Kühlung und damit auch ein paar Euro“, erläutert Sjenar. Und wenn man einen Kampfpreis erreichen will, kann man gar nicht genug knausern.
Den großen Realitätsbezug merkt man auch bei der ersten Ausfahrt auf dem Testgelände. Natürlich beschleunigt das millionenschwere Einzelstück noch nicht in weniger als sieben Sekunden von 0 auf 100 km/h. Und von der von 160 auf 180 km/h angehobenen Höchstgeschwindigkeit ist der ID Life auch noch weit entfernt. Doch wo solche Studien sonst allenfalls Schrittgeschwindigkeit fahren, surrt er jetzt mindestens mit Stadtgeschwindigkeit über den Testparcours und fühlt sich dabei schon fast so reif und solide an wie ein ID.3 oder ein ID.4 – nur leider nicht ganz so handlich.
Rückkehr zum preiswerteren Frontantrieb
Denn mit dem Umzug des Motors wächst zwar der hintere Kofferraum und vielleicht sinken tatsächlich die Kosten. Doch dafür lassen sich jetzt vorderen Räder eben nicht mehr ganz so weit einschlagen und der ID.Life fühlt sich beim Rangieren eher an wie ein Polo als ein Up. Doch weil die Karosserie so kantig und übersichtlich ist, dürfte das Parken trotzdem ein Kinderspiel bleiben.
Zwar spricht VW beim ID.Life von elektrischer Einstiegsmobilität und senkt die Hürde mit einem Zielpreis von etwa 20.000 Euro gegenüber dem ID.3 mal eben um ein Drittel. Doch wissen sie in Wolfsburg selbst, dass der günstigste Stromer dann noch immer mehr als doppelt so viel kostet wie heute der billigste Benziner. Deshalb wird der Kleinwagen, der nicht nur wie hier als Crossover kommt, sondern auch in klassischem Anzug, entgegen ersten Ankündigungen auch nicht als ID.1 in Serie gehen, sondern als ID.2 eine Etage höher positioniert, hört man aus dem Hochhaus des Vorstandes: Denn irgendwie müssen sie da zumindest auf lange Sicht noch ein Auto für die Klasse darunter nachschieben können – wenn sie wirklich einen Volkswagen für die Generation E bauen wollen.
Interessantes zeitloses Design! ..aber Ist dieser VW „Kleinwagen“ wirklich so hoch, oder ist Ihr ‚groß gewachsener‘ Autor eher ein verkleideter Hobbit, – frei nach Jakob Sperling?