In Japan sind Elektroautos schon seit längerem wichtige Module im Katastrophenschutz. Wenn nach Erdbeben oder schweren Stürmen vorübergehend die Stromversorgung zusammenbricht, werden E-Mobile im Besitz von Behörden und öffentlichen Institutionen immer wieder auch dazu genutzt, um Krankenhäuser und andere wichtige Versorgungseinrichtungen mit Elektrizität zu versorgen – der in Japan übliche CHAdeMO-Anschluss macht es möglich, den im Akku der Fahrzeuge gespeicherten Strom über eine entsprechende Wallbox in das Netz eines Gebäudes einzuspeisen. Elektroautos werden so zu fahrenden Notstrom-Aggregaten und Stromspeichern.

Volkswagen hat nun Ähnliches mit seinen Elektroautos vom Typ ID vor. Weniger für Katastrophenfälle und mögliche Blackouts, sondern als Teil eines neuen Geschäftsmodells: Mit den Stromern in Kundenhand will der Konzern eine „Brücke schlagen zwischen der Auto- und Energiewelt“ – und die Speicherkapazitäten der Fahrzeug-Akkus nutzen, um überschüssigen Grünstrom zu puffern, wenn das Netz diesen nicht mehr aufnehmen kann.

Elektroautos werden Teil eines intelligenten Stromnetzes

6.500 Gigawattstunden Strom aus Windkraft- und PV-Anlagen seien beispielsweise 2019 in Deutschland wegen fehlender Speicherkapazitäten nicht genutzt worden, rechnete Elke Temme kürzlich auf einem Presse-Workshop von VW in Berlin vor – die ehemalige Innogy-Managerin ist bei Volkswagen Group Components inzwischen für den neuen Geschäftsbereich Laden&Energie verantwortlich. Auch im kommenden Jahr werden an stürmischen Tagen sicher wieder Windräder zeitweise abgeschaltet werden müssen, weil Großspeicher für den StromüberschussPumpspeicherwerke, stationäre Großbatterien oder auch Elektrolyse-Anlagen – trotz Energiewende hierzulande nach wie vor fehlen.

Mitsubishi PHEV in Japan
Elektroauto als Stromspeicher
In Japan kann die Ladestation im Carport sowohl das Auto mit Strom versorgen als auch die Akkuladung des Autos komplett oder teilweise ins Stromnetz des Hauses einspeisen. Der CHAdeMO-Anschluss machts möglich. Foto: Ulrich Schaarschmidt/Mitsubishi

Statt dessen soll nun Elektroautos einspringen und als so etwas wie eine „mobile Powerbank“ dienen. Volkswagen hat bereits über 100.000 Elektroautos der verschiedenen ID-Baureihen auf die Straße gebracht, viele davon mit Akkus, die 77 Kilowattstunden (kWh) Strom speichern können. Temme: „Damit haben wir gigantische Speicherkapazitäten.“

Software-Update ermöglicht bi-direktionales Laden

Das Problem ist nur: Bislang fließt der Strom nur in einer Richtung: Aus dem Netz in den Fahrzeug-Akku. Eine Rückeinspeisung der Ionen ins Netz wie in Japan war bislang nicht möglich. Zum einen waren die Autos nicht in der Lage, zum anderen die meisten Wallboxen nicht. Schon gar nicht, wenn Gleichstrom in beide Richtungen fließen können soll.

Martin Roemheld leitet bei Volkswagen die E-MobilityServices, baut ein Ökosystem rund um das Elektroauto. Was erlebt er im Alltag, wovon träumt er? Ein Lade-Talk an der Stromtankstelle. E-Mobilität

Volkswagen will das so genannte bi-direktionale Laden aber jetzt ermöglichen: Über die neue Version der Betriebssoftware VW OS.3 werden ID-Fahrzeuge mit der großen, 77 kWh fassenden Batterie schon in wenigen Wochen in der Lage sein, nicht benötigten Strom ins Hausnetz einzuspeisen. Und wenn die notwendigen gesetzlichen Regelungen dafür getroffen sind, sollen die IDs Strom auch ins öffentliche Netz rückspeisen und damit zur Stabilisierung des Netzes insgesamt beitragen können. Bereits ausgelieferte Elektroautos werden diese Fähigkeit über ein „over the air“-Update ebenfalls erhalten – nur zu einem späteren Zeitpunkt und sukzessive.

ID.Charger für das bidirektionale Laden
Wer den 900-Euro-Zuschuss der KfW für die Anschaffung einer netzdienlichen Wallbox genutzt hat, wird sich möglicherweise ärgern: Zum bi-direktionalen Laden des Elektroautos ist eine neue Wallbox erforderlich, die mit Gleich- statt Wechselstrom arbeitet.

Ohnehin dauert die Umstellung noch ein wenig. Denn um den neuen Service nutzen zu können, ist auch eine neue Wallbox erforderlich, die die Technik beherrscht und Einspeisung von Gleichstrom (DC) mit bis zu 22 kW verkraftet. Diese wird erst im Laufe des kommenden Jahres verfügbar sein. Zu welchem Preis, steht noch nicht fest. Volkswagen ersparte sich auf diese Weise einen technischen Mehraufwand am Fahrzeug und den Einbau zusätzlicher Teile. Und die weltweit einheitliche Gleichstrom-Technik ermöglicht es, die Energie „in kurzen Hüben“ und mit vergleichsweise hoher Leistung ins Netz zu heben. Oder in einen Heimspeicher von VW, an dem VW Group Components bereits arbeitet.

Mobilität und Energie aus einer Hand

Die Batterie eines VW ID halte das bi-direktionale Laden aus, das System werde entsprechend ausgesteuert, versicherte bei dem Workshop Martin Roemheld, der bei der VW-Tochter Elli für das Business Development zuständig ist. Und tatsächlich will VW um das bi-direktionale Laden nun ein neues Geschäftsfeld aufbauen, das Mobilität und Energiedienstleistungen „unter einen Hut“ bringt – mit dem Elektroauto als „Energie-Asset“.

Denn natürlich soll der Fahrer eines ID.3, ID.4 oder ID.5 die Stromflüsse daheim und unterwegs nicht selbst managen, sondern idealerweise über einen ID.Charger und die Elli-Cloud sowie den VW-eigenen Ladedienst WeCharge. Und selbstverständlich fährt der ID.3 oder ID.4 mit VW Naturstrom, wenn die Energie nicht mit einer PV-Anlage selbst produziert werden kann. Die Kommunikation zwischen Auto und Ladestation über die Plug&Charge-Schnittstelle liefert die dafür erforderlichen Daten – und macht es dem Kunden einfach.

„Wir verstehen uns als Komplettanbieter“ ergänzte Temme die Ausführungen ihres Kollegen. Ziel sei der Aufbau neuer „Smart Energy Services“. Wie sagte Roemheld: „Wir stehen am Anfang einer spannenden Reise.“

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